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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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den Rossebändigern vorüber, wieder ins Freie getreten und gingen auf die Linden zu. Hart an der Brücke und dann auch wieder dicht vor der Neuen Wache waren große metallene Teller aufgestellt, in die man für die Verwundeten eine Geldmünze hineintat.
    »Wir müssen da wohl auch was geben«, sagte mein Vater. »Eine Kleinigkeit; so bloß symbolisch ...«
    Und dabei zog er seine Börse, deren Ringe, links und rechts, ziemlich weit nach unten saßen. Ich folgte seinem Beispiel, und wir entledigten uns jeder einer verhältnismäßig anspruchsvollen Münze, die damals den prosaischen Namen »Achtgroschenstück« führte.
    Gleich danach waren wir bis an die jenseitige Zeughausecke gekommen, da, wo das Kastanienwäldchen anfängt. Er blieb hier stehen, sah sich mit sichtlichem Behagen den prächtigen sonnenbeschienenen Platz an und sagte dann mit der ihm eigenen Bonhomie: »Sonderbar, es sieht hier noch geradeso aus wie vor fünfzig Jahren ...« Seitdem ist wieder ein Halbjahrhundert vergangen, und wenn die Stelle kommt, wo mein guter Papa in jenen Tagen diese großen Worte gelassen aussprach, so kann ich mich nicht erwehren, sie meinerseits zu wiederholen, und sage dann ganz wie er damals: »Es sieht noch geradeso aus wie vor fünfzig Jahren.« Es ist in der Tat ganz erstaunlich, wie wenig sich – ein paar Ausnahmen zugegeben – Städtebilder verändern. Wenn an die Stelle von engen, schmutzigen Ghettogassen ein Square mit Springbrunnen tritt, so läßt sich freilich von Ähnlichkeit nicht weiter sprechen, präsentieren sich aber die Hauptlinien unverändert, während nur die Fassade wechselte, so bleibt der Eindruck ziemlich derselbe. Die Maße entscheiden, nicht das Ornament. Dies ist, es mag so schön sein wie es will, für die Gesamtwirkung beinah gleichgültig.
    Wir hatten vor, die Linden hinunterzugehn und draußen vor dem Brandenburger Tor in Fuhlmanns Garten – den ich kannte – Kaffee zu trinken. Aber zunächst wenigstens kamen wir nicht dazu, denn als wir eben unsern Weitermarsch antreten wollten, erschien, von der Schloßbrücke her, eine ganze von hut- und mützeschwenkendem Volk umringte Kavalkade. Beim Näherkommen sahen wir, daß es der König war, der da heranritt, links neben ihm Minister von Arnim, eine deutsche Fahne führend.
    »Du hast Glück, Papa, jetzt erleben wir was.«
    Und richtig, hart an der Stelle, wo wir standen, hielt der Zug, und an die rasch sich mehrende Volksmenge richtete jetzt der König seine so berühmt gewordene Ansprache, drin er zusagte, sich, unter Wahrung der Rechte seiner Mitfürsten, an die Spitze Deutschlands stellen zu wollen. Der Jubel war ungeheuer. Dann ging der Ritt weiter.
    Als der Zug vorbei war, sagte mein Vater: »Es hat doch ein bißchen was Sonderbares, ... so rumreiten ... Ich weiß nicht ...«
    Eigentlich war ich seiner Meinung. Aber es hatte mir doch auch wieder imponiert, und so sagt' ich denn: »Ja, Papa, mit dem Alten ist es nun ein für allemal vorbei. So mit Zugeknöpftheiten, das geht nicht mehr. Immer an die Spitze ...«
    »Ja, ja.«
    Und nun gingen wir auf Fuhlmanns Kaffeegarten zu.
     
Viertes Kapitel
     
Auf dem Wollboden. Erstes und letztes Auftreten als Politiker
    Ich weiß nicht mehr, um wieviel Wochen später die Wahlen zu einer Art »Konstituante« begannen. Eine Volksvertretung sollte berufen und durch diese dann die »
Verfassung
« festgestellt werden. Bekanntlich kam es aber erheblich anders, und das Endresultat, nach Steuerverweigerung und Auflösung der Versammlung, war
nicht
eine vom Volkswillen diktierte, sondern eine »oktroyierte Verfassung«. Es ist immer mißlich, wenn die Freiheitsdinge mit was Oktroyiertem anfangen.
    Also Wahlen zur Konstituante! Der dabei stattfindende Wahlmodus entsprach dem bis diesen Augenblick noch seine sogenannten Segnungen ausübenden Dreiklassensystem und lief darauf hinaus, daß nicht direkt, sondern indirekt gewählt wurde, mit anderen Worten, daß sich eine Zwischenperson einschob. Diese Zwischenperson war der »Wahlmann«. Er ging aus der Hand des Urwählers hervor, um dann aus seiner – des Wahlmanns – Hand wiederum den eigentlichen Volksvertreter hervorgehen zu lassen.
    Alle Detailbestimmungen sind meinem Gedächtnisse natürlich längst entfallen, und ich weiß nur noch, daß ich persönlich alt genug war, um als »Urwähler« auftreten zu können. Ich erhielt also mutmaßlich den entsprechenden Zettel und begab mich, mit diesem ausgerüstet, in ein Lokal, in welchem sich die Urwähler der

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