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Vor dem Sommer

Vor dem Sommer

Titel: Vor dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Hände in seinem Fell. Außen war es nicht so seidig, wie es aussah, aber unter dem drahtigen Deckhaar wurde es weich und flauschig wie die Federn eines Kükens. Mit einem dumpfen Seufzen drückte er seinen Kopf an meinen Körper, die Augen noch immer geschlossen. Ich hielt ihn im Arm, als wäre er nichts weiter als ein Schoßhund. Nur sein wilder, strenger Geruch erinnerte mich an das, was er wirklich war.
    Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr: In der Ferne sah ich den gescheckten Wolf und näher, am Waldrand, stand die alte Wölfin. Ihre Augen glühten.
    Ich spürte ein plötzliches Grollen an meinem Körper, das mehr und mehr anschwoll, und mir wurde klar, dass mein Wolf sie anknurrte. Unerwartet forsch kam die Wölfin näher und er wandte in meinen Armen den Kopf, um sie anzusehen.
    Sie knurrte nicht und irgendwie war das sogar noch schlimmer. Ein Wolf hätte doch knurren müssen. Sie aber starrte uns bloß an, ihr Blick flog zwischen ihm und mir hin und her. Ihr gesamter Körper drückte Hass aus.
    Der magere Wolf beobachtete uns, reglos, von seinem Versteck zwischen den Bäumen aus. Noch immer leise knurrend, drängte mein Wolf sich enger an mich und zwang mich einen Schritt zurück, dann noch einen. Auf diese Weise bewegten wir uns zusammen in Richtung des Hauses. Meine Hand ertastete die Tür und ich stolperte zurück ins Haus. Wie Geister verschmolzen der Gescheckte und die Wölfin mit dem Wald und schließlich verschwand auch mein Wolf in der Dunkelheit.
    Wochen vergingen. Der Wald war frei von Wölfen, aber voller Vögel, so klein, dass sie in meine Handfläche gepasst hätten, und frischer grüner Knospen, die nach neuem Leben dufteten. Es war unerträglich. Ich wollte nicht dasitzen und Massen von Tieren in diesem Wald sehen, nur das eine nicht, nach dem ich mich sehnte. Doch ich wollte auch nirgendwo anders sein, für den Fall, dass er wieder auftauchte. Wozu war die Wölfin in ihrer Wut imstande?
    Meine Eltern fuhren ohne mich in den Frühjahrsurlaub und ließen mich für drei Tage in einem Haus zurück, das ebenso leer war wie der Wald. Am zweiten Tag ergriff mich Unruhe, eine unstete Zeitgenossin, und trieb mich schließlich erneut in den Wald, das tröstende Gewicht der Pistole in meiner Hand. Von der Trostlosigkeit, die dort noch wenige Monate zuvor geherrscht hatte, als die Schreie mich angelockt hatten, war nichts mehr übrig. Nun waren die Bäume in sattes Grün gehüllt und von Ranken überwuchert; sorgloses Vogelgezwitscher und das selbstvergessene Surren von Insekten schufen eine lebhafte Geräuschkulisse.
    Aber es war derselbe Wald wie zuvor und wieder waren es Schreie, die meine Schritte lenkten, doch diese Schreie waren für niemanden wahrnehmbar außer mir selbst.
    Ich fand ihn zusammengekrümmt am Fuß einer Birke, wo er leise vor sich hin wimmerte. Sein glänzender Pelz war verschwunden, er war nackt. Aber ich wusste, dass es mein Wolf war, noch bevor er die Augen aufschlug. Seine blassgelben Augen öffneten sich, als er mich näher kommen hörte, doch er regte sich nicht. Er war rot verschmiert, vom Ohr den Hals hinunter bis zu den Schultern – wie eine tödliche Kriegsbemalung.
    Schnell hockte ich mich neben ihn, legte die Pistole ins frische Gras und nahm meinen Rucksack ab. Ich holte ein Geschirrtuch, bedruckt mit lachenden Enten, heraus und löste vorsichtig die Hand, die er sich auf die Wunde an seinem Hals presste. Dann legte ich das Tuch darauf und strich ihm das blutverschmierte Haar aus den Augen. Neben all dem Wilden lag nun auch eine Klarheit in seinem Blick, die ich nie zuvor darin gesehen hatte.
    »Ich will nicht zurück.« Diese gequälten Worte riefen sofort eine Erinnerung in mir wach: ein Wolf, der voll stummem Schmerz vor mir stand. »Wenn ich … wenn ich anfange, mich zu verwandeln, lass mich sterben.«
    Er würde nicht sterben. Ich hatte es selbst überlebt.
    »Hab keine Angst.«
    Er erschauderte und schloss die Augen. »Ich habe dich beobachtet. Um da zu sein, wenn du dich verwandelst. Um dir zu helfen. Aber es ist nie passiert.«
    Ich erinnerte mich daran, wie oft ich davon geträumt hatte, ein Wolf zu sein und Abenteuer mit ihm zu erleben.
    »Du bist doch gebissen worden. Du hättest dich verwandeln müssen, so wie wir anderen auch.«
    An meinem Hals waren noch immer die Narben zu sehen. Ich dachte an die Zungen der Wölfe, an ihre Zähne. Ich dachte daran, wie er seine Schnauze in meine Hand, an meine Wange gestoßen hatte und sich dann aus seiner

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