Vor dem Urknall
lange nach einer «Theorie für alles» gesucht, die erklären sollte, wie alle Kräfte und Teilchen, aus denen unser Universum besteht, miteinander in Verbindung treten. Einstein war gegen Ende seines Lebens davon besessen und verbrachte seine Zeit mit vergeblichen Versuchen, eine allumfassende Theorie festzuhalten.
Wir kennen vier grundlegende Kräfte, die beschreiben, wie die Materie funktioniert. Die beiden schwächsten sind auch die geläufigsten. Es sind die Gravitation und der Elektromagnetismus, wobei Letzterer für unzählige Vorgänge verantwortlich ist – von der Existenz des Lichts bis hin zum Antrieb eines elektrischen Motors. Die beiden anderen sind Kernkräfte, nämlich die starke und die schwache Kraft. Die schwache ist ein Phänomen, das für einige Aspekte des Kernzerfalls zuständig ist, etwa für den Betazerfall, wenn der Kern ein Elektron hinausschleudert. Die starke Kraft hat die Aufgabe, den Kern des Atoms zusammenzuhalten – trotz der positiv geladenen Protonen, die sich alle gegenseitig elektromagnetisch abstoßen.
Die Existenz so vieler Kräfte klingt übermäßig kompliziert. Im Lauf der Jahre hat es viele Versuche gegeben – Einsteins Bemühungen mitgezählt –, sie zu einer einzigen Kraft zusammenzuschmieden. Dabei sind schöne Erfolge erzielt worden. So erwies es sich als relativ einfach, den Elektromagnetismus und die schwache Kraft zusammenzuziehen. Schließlich wurde auch die starke Kraft mit diesen vereint, aber dann tat sich eine unüberwindliche Kluft auf. Die Gravitation unterscheidet sich so sehr von den anderen Kräften, dass es sich als unmöglich herausstellte, eine praktische, allumfassende Theorie zu ersinnen, die alles in den Griff bekam.
Ich habe Einstein bereits mehrfach in diesem Kapitel erwähnt, und dafür gibt es einen guten Grund. Er schuf eine Art Schnittstelle zwischen den beiden inkompatiblen Teiltheorien, auf die unser Verständnis vom Universum gebaut ist. Es war Einstein, der die allgemeine Relativitätstheorie entwickelte, die beschreibt, wie die Gravitation funktioniert. Außerdem ist er mitverantwortlich für die Entwicklung der Quantentheorie, die Wissenschaft der sehr kleinen Teilchen auf der Ebene des Atoms und darunter, wenngleich er ihren auf Wahrscheinlichkeiten beruhenden Ansatz hasste. Trotz ihrer Raffinesse ist die allgemeine Relativität eine «klassische» Theorie: Die Gravitation ist die Kraft, die sich so verhält, wie Newton es verstehen könnte. Die anderen drei Kräfte sind Quantenwechselwirkungen.
Deshalb bleiben die beiden unterschiedlichen Aspekte des Universums für unser Verständnis unvereinbar. Die Quantentheorie ist für die Welt des äußerst Kleinen zuständig und deckt drei der vier Kräfte ab. Die Gravitation übernimmt die Führung, sobald der Maßstab größer wird. Sie befasst sich mit der Art von Objekten, mit denen wir in unserer menschlichen Welt vertraut sind. Die Quantentheorie, Einsteins Albtraum, steht hier der Relativität, seinem Geisteskind, gegenüber.
Ironischerweise spitzt sich dieser Zusammenprall der titanischen Kräfte hinter dem Dasein in der Vorstellung vom Urknall zu. Weil der Urknall ein Phänomen des äußerst Kleinen ist, sollte am Anfangspunkt des Universums auch die Quantentheorie dominieren. Tatsächlich ist darüber spekuliert worden, dass es die unterschiedlichen Kräfte, wie wir sie heute kennen, ursprünglich gar nicht gegeben hat. Im Standardbild des Urknalls verschmelzen bei den enormen Temperaturen und Drücken unmittelbar nach dem Urknall alle Kräfte mit Ausnahme der Gravitation miteinander zu einer einzigen Superkraft, die sich beim Abkühlen des sehr frühen Universums in einem Prozess «auflöste», den wir Symmetriebrechung nennen.
Dabei bleibt jedoch die Gravitation immer noch außen vor, was eigentlich unmöglich erscheint, wenn das Universum seinen Anfang auf der Quantenebene nahm. Viele Wissenschaftler würden sagen, Einsteins geistiger Konflikt sei inzwischen dank eines Ansatzes, der Stringtheorie genannt wird, gelöst worden. Deren große Schwester nennt sich M-Theorie. Sie ermöglicht es, die Gravitation mit den anderen Kräften als Teil dieser ursprünglichen Superkraft in Übereinstimmung zu bringen. Und diese Theorie ist zweifellos sehr hübsch, da sie ein Problem vereinfacht, das den Physikern in den 1970 er Jahren eine Menge Kopfschmerzen bereitete.
Der Teilchenzoo
Seit der griechischen Antike hielt man es für möglich, dass Materie aus kleinen, grundlegenden
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