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Leidenschaft des Augenblicks

Titel: Leidenschaft des Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jayne Ann Krentz
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1. Kapitel
    »Ich kann nichts sehen.«
    »Alles in Ordnung, Mrs. Valentine. Ihre Augen sind okay.« Jessie Benedict beugte sich besorgt über die zerbrechliche Gestalt in dem Krankenhausbett und tätschelte die Hand, die den Rand der Bettdecke umkrampft hielt. »Sie sind böse gefallen und haben sich ein paar Rippen gebrochen und eine Gehirnerschütterung bekommen, aber Ihren Augen ist absolut nichts passiert. Machen Sie sie auf und schauen Sie mich an.«
    Irene Valentine öffnete ihre blaßblauen Augen. »Sie verstehen mich nicht, Jessie. Ich kann nichts sehen.«
    »Aber Sie schauen mich doch an. Sie sehen doch, daß ich hier stehe, oder nicht?« Jessie war nun doch beunruhigt. Sie hob ihre Hand. »Wie viele Finger halte ich hoch?«
    »Zwei.« Mrs. Valentine warf ihr grauhaariges Haupt ruhelos auf dem Kopfkissen hin und her. »Du lieber Himmel, Jessie, das ist nicht die Art sehen, die ich meine. Verstehen Sie denn nicht? Ich kann nichts sehen.«
    Allmählich dämmerte Jessie, was sie damit sagen wollte, und ihre eigenen Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Oh, nein. Mrs. Valentine, sind Sie sicher? Wie können Sie das so genau wissen?«
    Die ältere Frau seufzte und schloß ihre Augen wieder. »Das läßt sich nicht erklären.« Ihre Stimme klang jetzt belegt und undeutlich. »Ich weiß einfach, daß es nicht mehr da ist. Es ist genauso, wie wenn man seinen Geruchssinn oder sein Gehör verliert. Lieber Gott, Jessie, es ist, als ob man blind wäre. Mein ganzes Leben lang war es da, und jetzt ist es einfach weg.«
    »Das war nur der Schlag auf den Kopf. Ganz bestimmt. Sobald Sie sich von der Gehirnerschütterung erholt haben, ist alles wieder okay.« Jessie blickte auf sie hinunter und dachte, wie klein und zerbrechlich Mrs. Valentine doch ohne ihren farbenprächtigen Turban, die weiten Röcke und die zahllosen Halsketten wirkte, die sie immer trug.
    Eine Minute lang schwieg Mrs. Valentine. Bewegungslos lag sie in ihrem Krankenhausbett, und ihre Hand umklammerte noch immer die Bettdecke. Jessie überlegte, ob sie wohl eingeschlafen wäre.
    »Mrs. Valentine?« flüsterte Jessie. »Sind Sie in Ordnung?«
    »Ich bin nicht gefallen«, stieß Mrs. Valentine mühsam hervor.
    »Was haben Sie gesagt?«
    »Ich bin die Treppe nicht hinuntergefallen. Jemand hat mich gestoßen.«
    »Gestoßen?« Jessie erstarrte vor Entsetzen. »Sind Sie sicher? Haben Sie jemand davon erzählt?«
    »Ich hab' versucht, es den Leuten zu erklären. Niemand hat zugehört. Alle haben gesagt, ich sei ganz allein im Haus gewesen. Jessie, was soll ich nur tun? Und das Büro! Wer kümmert sich um das Büro, solange ich hier bin?«
    Jessie straffte die Schultern. Das war ihre große Chance, und sie würde sie nicht ungenutzt verstreichen lassen. »Ich kümmere mich um alles, Mrs. Valentine. Machen Sie sich keine Sorgen. Schließlich bin ich Ihre Assistentin, das wissen Sie doch noch? Und Assistenten sind schließlich dazu da, alles am laufen zu halten, wenn der Chef nicht im Büro ist.«
    Irene Valentine öffnete ihre Augen für einen Moment und sah Jessie zweifelnd an. »Vielleicht wäre es besser, wenn Sie das Büro für ein paar Wochen schließen würden, meine Liebe. So viele Klienten haben wir weiß Gott ja gar nicht.«
    »Unsinn«, entgegnete Jessie forsch. »Ich komme bestimmt wunderbar zurecht.«
    »Jessie, ich bin mir wirklich nicht sicher. Sie sind schließlich erst einen Monat bei mir. Und Sie wissen nicht viel darüber, wie ich mein Geschäft führe.«
    In diesem Moment kam eine Krankenschwester ins Zimmer und lächelte Jessie freundlich, aber bestimmt an. »Ich glaube, für heute hatte Mrs. Valentine genug Besuch. Sie braucht jetzt Ruhe.«
    »Verstehe.« Jessie tätschelte zum Abschied noch einmal die zerbrechliche Hand, die nach wie vor die Bettdecke umklammert hielt. »Ich komme morgen wieder, Mrs. Valentine. Passen
    Sie gut auf sich auf - und machen Sie sich keine Sorgen wegen des Büros. Alles wird ganz wunderbar laufen.«
    »Ach, meine Liebe.« Mrs. Valentine seufzte und schloß ihre Augen wieder.
    Mit einem letzten besorgten Blick auf die blasse Gestalt in dem weißen Bett wandte sich Jessie um und verließ das Krankenzimmer. Auf dem Gang sprach sie den erstbesten Arzt an, der ihr über den Weg lief.
    »Mrs. Valentine glaubt, daß jemand sie die Treppe in ihrem Haus hinuntergestoßen hat«, teilte Jessie ihm geradeheraus mit. »Wurde die Polizei davon in Kenntnis gesetzt?«
    Der Assistenzarzt, ein ernster junger Mann, lächelte sie

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