Vor meinen Augen
mich selbst einfach nicht steuern. Ich verstehe nicht, warum ich nicht einfach NORMAL sein kann. Alles ist in Ordnung. Mit mir ist alles in Ordnung, aber ich verhalte mich dauernd KOMISCH. ICH MUSS NACH VORNE SEHEN. »Ciao«, sagte ich.
Ich legte auf und machte mir dann Sorgen, dass sie sauer oder beleidigt oder was auch immer war, aber als ich sie noch mal anrufen wollte, um mich zu entschuldigen, war ihr Handy ausgeschaltet. Ich rief auf dem Festnetz an und ihre Mum ging ran. Sie hat einen starken Akzent, weil sie ursprünglich aus Russland kommt. Sie ist ausgewandert, um Abis Dad zu heiraten, und nach London gezogen, wo es ihr nie gefallen hat. Abis Dad hat sie verlassen, als Abi acht war, und da konnte sie dann auch nicht mehr zurück. Sie sagte mir jedenfalls, dass Abigail mit Megan zu Zara gegangen sei. Ich stellte mir vor, wie Abi, Zara und Megan zusammen Spaß hatten.
Abigails Mum fragte: »Wie geht es dir?«
»Mir geht es gut und Ihnen?« Ich wünschte, die Leute würden aufhören mich damit zu löchern.
»Auch gut. Außer … hör mal, wo ich dich gerade am Telefon habe, Sophie, meinst du, mit Abigail ist alles in Ordnung?«
»Ich glaube schon.«
»Und mit dir? Mit dir auch?«
»Wirklich, alles bestens.« Ich verzog das Gesicht. Ich wollte eigentlich nur gefragt werden, ob ich nicht zu der blöden Zara mitkommen wollte. »Ja, wirklich alles okay«, behauptete ich. »Bis bald, Mrs Bykov.«
Mittwoch, 11. Januar
Als ich heute zur Schule kam, wartete Abigail am Tor. Sie winkte mit ihrem mageren Arm hoch über dem Kopf. »Hey!«, rief sie. Sie hat wilde rote Locken, und weil es nieselte, waren sie noch krauser als sonst. Sie musste gesehen haben, wie ich auf ihr Haar guckte, denn sie strich es glatt, als ich zu ihr rüberkam und sagte: »Ich weiß, der blöde Regen.«
»Sieht doch gut aus«, schwindelte ich. Auf dem Weg ins Schulgebäude hakte sie sich bei mir unter. Ich konnte Zigarettenrauch an ihrer Schuluniform riechen.
»Was hast du denn so gemacht?«, fragte sie.
»Nicht viel.«
»Und wie läuft’s?«
»Gut.« Ich zermarterte mir das Gehirn nach irgendetwas, was ich sagen konnte. Warum fühlte sich die Unterhaltung mit meiner besten Freundin auf einmal an, als spräche ich mit irgendeiner Fremden, die mich auf der Straße zu einer Spende für einen guten Zweck überreden will? Was STIMMTE NICHT mit mir? Schließlich fiel mir etwas ein: »Wie läuft es denn mit der Partyvorbereitung?«
»Super. Du kannst ja mit Megan früher kommen, wenn du magst. Komm doch um fünf.« Sie machte eine Pause. »Natürlich nur, wenn du willst.«
Ich merkte, wie ich mich doch freute. Alles würde wieder gut werden. »Gern«, sagte ich, »okay.«
»Ein paar Freunde von Megans Bruder sind echt süß. Da ist dieser eine Typ, an den ich dauernd denken muss. Er ist groß und hat uuuunglaublich tolle blaue Augen …« Sie machte eine kurze Pause. »Also, es ist gut zu sehen, dass es dir wieder viel besser geht. Im letzten Jahr dachte ich schon, dass du vielleicht, na ja, du weißt schon, nie drüber wegkommst.«
»Ja«, sagte ich. Wir waren im Flur vor den Klassenzimmern. Die Menge an Leuten brachte mich zum Schwitzen. Wenn noch mehr Leute in den Flur strömten, dann konnte leicht eine Massenpanik ausbrechen wie bei überfüllten Konzerthallen, man las ja darüber. Ein Schweißtropfen rollte ganz langsam unter meinem T-Shirt hinab. Ich zerrte mit meiner freien Hand an meinem Kragen. »Ja, es geht mir viel besser.«
Sie drückte meinen Arm ganz fest. »Das ist gut«, sagte sie. »Ich hab dich vermisst.«
»Ja.« Das war genau das, was ich mir zu hören gewünscht hatte, also warum konnte ich nicht einfach mal cool bleiben und diesen Augenblick genießen?
»Du weißt, dass du meine beste Freundin bist, oder?«
Ein Mädchen drängte sich an mir vorbei und rempelte mich an der Schulter an. In meinem Kopf wurde das Gedränge immer schlimmer, und ich stellte mir vor, wie alle kreischten, als würden sie umgebracht. Panik zuckte in mir auf und loderte mit flammender Zunge mein Rückgrat hoch. Ich stotterte: »Mir ist gerade eingefallen … ich habe etwas oben im Kunstraum vergessen.«
»Ich komme mit.«
»Nein, dann kommst du nur zu spät.« Ich aktivierte die Gesichtsmuskeln, um ein Lächeln herauszulocken, wie den Kuckuck aus einer Kuckucksuhr.
Abis Augen wurden schmal, doch ich lief bereits von ihr weg.
Ich musste sofort hier raus. »Bis später!«, rief ich und drängte mich im überfüllten Flur an den
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