Vorsatz und Begierde (German Edition)
Blaney duldet keinerlei Einmischung. Ich kann’s verstehen. Gibt er seine Abwehrhaltung auf, hat er die Hälfte aller Sozialarbeiter von Norfolk, selbsternannte und berufsmäßige, am Hals.«
Als sie die kleine Schar eingeholt hatten, öffnete Alice Mair die Wagentür.
»Theresa«, sagte sie, »Mr. Dalgliesh hier würde euch gern heimbringen. Er ist der Neffe von Miss Dalgliesh, die in der Mühle von Larksoken gewohnt hat. Einer der Zwillinge kann auf meinem Schoß sitzen. Ihr beiden kommt samt Wagen in den Fond.«
Theresa schaute Dalgliesh mit ernster Miene an und bedankte sich. Sie erinnerte ihn an Bilder, die die junge Elisabeth aus dem Hause Tudor darstellten: Wie bei ihr umrahmte rotgoldenes Haar ein auffallend erwachsen wirkendes Gesicht, das Verschwiegenheit und Selbstbeherrschung ausdrückte, und es war die gleiche schmalrückige Nase, die gleichen kühl taxierenden Augen. Die Zwillinge – ihre Gesichter hatten weichere Konturen – blickten ihre Schwester fragend an und lächelten dann scheu. Sie sahen aus, als hätte man sie in aller Eile angezogen. Zudem waren sie für den langen Marsch auf der Landzunge, selbst an einem warmen Augusttag, überaus unpassend gekleidet. Das eine Mädchen trug ein pinkfarben getüpfeltes Sommerkleidchen aus Baumwolle, das mit einer doppelten Rüschenreihe verziert war, das andere eine Art Kinderschürze über einem karierten Blüschen. Die anrührend dünnen Beinchen waren bloß. Theresa hatte Jeans und ein schmuddliges Sweatshirt an, dessen Vorderseite ein Plan der Londoner U-Bahn-Linien zierte. Vermutlich hat sie es von einem Schulausflug nach London heimgebracht, dachte Dalgliesh. Es war ihr viel zu groß. Die weiten Ärmel aus schlaffem Baumwollgewebe flatterten an ihren sommersprossigen Armen wie Stoffetzen an einem Stock. Im Gegensatz zu seinen Schwestern war der kleine Anthony dick eingemummt. Er trug eine Strampelhose, einen Wollpullover, ein wattiertes Jäckchen und eine pompongekrönte Wollmütze, die man ihm tief in die Stirn gezogen hatte. Wie ein pummeliger, herrschsüchtiger Cäsar beobachtete er, ohne zu lächeln, die überraschende Geschäftigkeit ringsum.
Dalgliesh stieg aus und versuchte ihn aus dem Kinderwagen zu hieven, scheiterte aber zunächst an den technischen Tücken des Gefährts. Da war eine Querstange, die die Beinchen des Kindes fixierte. Zudem erwies sich das massige, starre Bündel erstaunlich schwer. Es war, als hantiere er mit einem ziemlich übelriechenden, prallen Sack. Theresa lächelte ihn daraufhin kurz, aber nachsichtig an, zog die Plastiktüten unterm Sitz hervor, befreite gekonnt ihr Brüderchen und stemmte es gegen die linke Hüfte, worauf sie mit der anderen Hand – ein einziger kräftiger Ruck genügte – das Gefährt zusammenklappte. Dalgliesh nahm ihr das Kind ab. Theresa bugsierte die Zwillinge in den Jaguar und befahl ihnen mit unerwarteter Strenge, stillzusitzen. Anthony hingegen, der Dalglieshs Unbeholfenheit zu ahnen schien, packte ihn mit seinem klebrigen Händchen am Haar. Einen flüchtigen Augenblick lang spürte Dalgliesh, daß ihn die Kinderwange streifte, so sanft, als habe ihn ein Blütenblatt berührt. Während sie sich abmühten, saß Alice Mair ungerührt im Wagen und sah zu, machte aber keinerlei Anstalten, ihnen zu helfen. Was sie dachte, war aus ihrer Miene nicht zu schließen.
Erst als der Jaguar wieder anfuhr, wandte sie sich an Theresa und fragte freundlich: »Weiß dein Vater, daß ihr allein fortgegangen seid?«
»Daddy ist mit dem Wagen zu Mr. Sparks gefahren. Die TÜV-Überprüfung ist wieder mal fällig. Mr. Sparks glaubt allerdings nicht, daß er durchkommt. Aber uns ist doch die Milch für Anthony ausgegangen. Wir brauchen Milch. Außerdem auch noch Wegwerfwindeln.«
»Ich gebe am Donnerstag abend eine Dinnerparty«, sagte Alice Mair. »Möchtest du mir, wie letzten Monat, zur Hand gehen, falls dein Vater einverstanden ist?«
»Was wollen Sie denn kochen, Miss Mair?«
»Rück näher, dann sag ich’s dir ins Ohr. Mr. Dalgliesh gehört nämlich zu den Gästen. Es soll eine Überraschung sein.«
Der Kopf mit dem rotgoldenen Haar neigte sich der grauhaarigen Miss Mair zu, die etwas flüsterte. Theresa nickte ernsthaft und lächelte dann, als finde sie Spaß an dieser kleinen weiblichen Verschwörung.
Alice Mair wies ihm den Weg zu dem Cottage. Nach gut einem Kilometer bogen sie zum Meer ab. Der Jaguar schaukelte und holperte zwischen hohen, wild wuchernden Brombeer- und
Weitere Kostenlose Bücher