Maigret und das Verbrechen in Holland
Inhalt
1 . Das Mädchen mit der Kuh
2 . Die Mütze des Baes
3 . Der Klub der Kairatten
4 . Die Flöße auf dem Amsteldiep
5 . Die Hypothesen des Jean Duclos
6 . Die Briefe
7 . Ein Mittagessen im Hotel Van Hasselt
8 . Maigret und die jungen Mädchen
9 . Der Lokaltermin
10 . Jemand wartet ab
11 . Das erleuchtete Fenste r
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Das Mädchen mit der Kuh
A ls Maigret an einem Mainachmittag in Delfzijl. a n kam, kannte er den Fall, der ihn in die kleine Stadt im äußersten Norden Hollands rief, nur in groben Z ü gen.
Ein gewisser Jean Duclos, Professor an der Universität Nancy, war auf Vortragsreise in den Ländern des No r dens. In Delfzijl war er Gast von Monsieur Popinga, e i nem Lehrer an der Marineschule. Nun war dieser Mo n sieur Popinga ermordet worden, und wenn man den französ i schen Professor auch nicht direkt beschuldigte, hatte man ihn doch gebeten, die Stadt nicht zu verlassen und sich den holländischen Behörden zur Verfügung zu halten.
Das war alles, oder fast alles. Jean Duclos hatte die Universität Nancy benachrichtigt, und diese hatte durchgesetzt, daß jemand von der Pariser Kriminalpol i zei nach Delfzijl geschickt wurde.
Der Auftrag wurde Maigret übergeben. Ein eher off i ziöser denn offizieller Auftrag, den er noch weniger off i ziell gemacht hatte, indem er es unterließ, seine hollä n dischen Kollegen von seiner Ankunft zu unterrichten.
Von Jean Duclos hatte er einen ziemlich verworrenen Bericht erhalten, dem eine Liste der Personen beigefügt war, die mehr oder weniger in diese Geschichte verwi c kelt waren.
Kurz bevor er in Delfzijl ankam, las er diese Liste durch:
Conrad Popinga (das Opfer), zweiundvierzig Jahre alt, ehemaliger Kapitän auf Überseestrecken, Lehrer an der Marineschule in Delfzijl. Verheiratet. Keine Kinder. Spricht fließend Englisch und Deutsch und ziemlich gut Französisch.
Liesbeth Popinga , seine Frau, Tochter eines Gymnas i aldirektors in Amsterdam. Sehr gebildet. Ausgezeichnete Französischkenntnisse.
Any Van Elst , jüngere Schwester von Liesbeth Popi n ga, für ein paar Wochen in Delfzijl auf Besuch. Hat vor kurzem ihren Doktor in Jura gemacht. Fünfundzwanzig Jahre. Versteht etwas Französisch, spricht es aber nur g e brochen.
Familie Wienands , wohnt in der Villa,, neben den P o pingas. Carl Wienands ist Mathematiklehrer an der Ma n neschule. Frau und zwei Kinder. Keine Französischkenn t nisse.
Beetje Liewens , achtzehn Jahre alt, Tochter eines Ba u ern, der auf den Export reinrassiger Kühe spezialisiert ist. Zwei Aufenthalte in Paris. Spricht perfekt Franz ö sisch.
Das alles war nichtssagend. Namen, mit denen zumi n dest Maigret nichts anfangen konnte, der von Paris kam und für die Eisenbahnfahrt eine Nacht und einen ha l ben Tag gebraucht hatte.
Delfzijl verwirrte ihn von Anfang an. In der Morge n dämmerung war er durch das traditionelle Tulpen-Holland gefahren, dann durch Amsterdam, das er schon kannte. Die Provinz Drenthe, eine richtige Heidekrau t wüste, durch die sich bis zum Horizont in dreißig Kil o metern Entfernung Kanäle zogen, hatte ihn überrascht.
Er war nun in eine Gegend geraten, die nichts mit den holländischen Postkarten gemein hatte und die hu n dertmal nördlicher wirkte, als er sich vorgestellt ha t te.
Eine kleine Stadt: zehn oder höchstens fünfzehn Str a ßen, gepflastert mit schönen roten Klinkersteinen, die so gleichmäßig aneinandergereiht waren wie Küchenfli e sen. Niedrige Häuser, aus Backsteinen und reich mit Holz in hellen und fröhlichen Farben verziert.
Wie eine Spielzeugstadt. Um so mehr, als er einen Deich sah, der die Stadt ganz umschloß. In diesem Deich gab es Durchgangsstellen, die bei Flut durch schwere schleusenähnliche Tore geschlossen werden konnten.
Dahinter die Emsmündung. Die Nordsee. Ein langes silbernes Band. Frachtschiffe, die unter den Kränen am Kai entladen wurden. Kanäle und eine Unmenge Sege l schiffe, groß und schwer wie Lastkähne, aber seetüchtig.
Die Sonne schien. Der Bahnhofsvorsteher trug eine hübsche orangefarbene Mütze und grüßte den unb e kannten Reisenden ganz selbstverständlich.
Gegenüber befand sich ein Café. Maigret ging hinein und wagte kaum, sich hinzusetzen. Weil es nicht nur gebohnert war wie im Eßzimmer einer Kleinbürgerfam i lie, sondern auch ebenso privat wirkte.
Ein einziger Tisch mit Zeitungen in Kupferhalteru n gen darauf. Der Wirt, der mit zwei Gästen Bier trank, stand auf, um Maigret zu begrüßen.
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