Vorsatz und Begierde (German Edition)
beiden Männer, als seien die zehn Meter bis zum Wagen, der in dem Licht, das aus der offenen Haustür fiel, wie ein dahintreibendes Raumschiff glänzte, eine Odyssee auf gefährlichem und unsicherem Gelände.
Über ihnen schimmerten weiß und schweigend die Segel der Windmühle, mächtig und voll latenter Kraft. Flüchtig hatte Dalgliesh den Eindruck, als begännen sie sich langsam zu drehen.
»Alles auf dieser Landzunge ist ein Kontrast«, sagte Rikkards.
»Nachdem ich heute vormittag Pascoes Caravan verlassen hatte, blieb ich auf den niedrigen Sandklippen stehen und blickte nach Süden. Da gab es nichts als ein altes Fischerboot, ein aufgerolltes Tau, eine umgestürzte Kiste und diese schreckliche See. So muß es dort seit fast tausend Jahren aussehen. Anschließend wandte ich mich nach Norden und sah dieses beschissene, riesige Atomkraftwerk. Da drüben steht es und glitzert vor sich hin. Und ich sehe es im Schatten der Windmühle. Funktioniert die übrigens? Die Mühle, meine ich.«
»Man sagte mir, ja«, erwiderte Dalgliesh. »Die Segel drehen sich, aber sie mahlt nicht. Die Originalmühlsteine liegen im unteren Raum. Manchmal würde ich gern sehen, wie sich die Segel langsam drehen, aber ich widerstehe der Versuchung. Weil ich nicht weiß, ob ich sie wieder anhalten kann, wenn sie erst mal in Gang kommen. Es wäre lästig, sie die ganze Nacht knarren hören zu müssen.«
Sie waren am Wagen angekommen, doch Rikkards blieb mit der Hand am Türgriff stehen und schien sich nicht zum Einsteigen entschließen zu können. »Wir haben einen langen Weg zurückgelegt, von der Mühle bis zum Kraftwerk, nicht wahr?« sagte er nachdenklich. »Wie weit ist es? Vier Meilen Landzunge und dreihundert Jahre Fortschritt. Und dann denke ich an die beiden Toten im Leichenschauhaus und frage mich, ob wir überhaupt Fortschritte gemacht haben. Dad hätte von Erbsünde gesprochen. Er war Laienprediger, mein Dad. Hatte sich alles immer schön zurechtgelegt.«
Das hatte meiner eigentlich auch, dachte Dalgliesh. Laut sagte er: »Wie schön für Ihren Dad.« Einen Augenblick herrschte Stille, die vom Schrillen des Telephons unterbrochen wurde, einem hartnäckigen Klingeln, das durch die offene Tür deutlich zu vernehmen war. »Sie sollten lieber noch etwas warten. Es könnte für Sie sein«, meinte Dalgliesh.
Es war für ihn. Oliphant erkundigte sich, ob Chief Inspector Rikkards da sei. Er sei nicht zu Hause, und Dalglieshs Nummer gehöre zu denen, die er hinterlassen habe.
Der Anruf war kurz. Kaum eine Minute später kam Rikkards wieder zu Dalgliesh an die offene Tür. Die leicht melancholische Stimmung der letzten Minuten war verflogen, seine Schritte federten unternehmungslustig.
»Es hätte zwar bis morgen Zeit gehabt, aber Oliphant wollte es mir unbedingt sofort mitteilen. Dies könnte der Durchbruch sein, den wir brauchen. Das Labor hat angerufen. Die müssen nonstop daran gearbeitet haben. Ich nehme an, Oliphant hat Ihnen gesagt, daß wir einen Fußabdruck gefunden haben?«
»Er hat es erwähnt. Rechts neben dem Pfad im weichen Sand. Einzelheiten hat er mir nicht berichtet.«
Und Dalgliesh, der gewissenhaft darauf achtete, in Rikkards’ Abwesenheit nicht mit einem jüngeren Beamten über den Fall zu sprechen, hatte nicht danach gefragt.
»Wir haben soeben die Bestätigung bekommen. Es handelt sich um die Sohle eines Bumble-Sportschuhs, vom rechten Fuß. Größe zehn. Das Muster auf der Sohle ist offenbar nicht zu verwechseln.« Und als Dalgliesh nicht antwortete, fuhr er fort: »Mann Gottes, Mr. Dalgliesh, sagen Sie nicht, daß Sie ein Paar davon besitzen! Das wäre eine Komplikation, die ich überhaupt nicht gebrauchen kann.«
»Ich habe keine, nein. Bumbles sind zu modisch für mich. Aber ich habe kürzlich ein Paar gesehen, und zwar hier, auf der Landzunge.«
»An wessen Füßen?«
»An gar keinen Füßen.« Er überlegte einen Moment, dann sagte er: »Jetzt fällt’s mir ein. Am letzten Mittwoch vormittag, dem Tag nach meiner Ankunft hier, habe ich ein paar Sachen von meiner Tante zusammengepackt, darunter zwei Paar Schuhe, und sie für den Kirchenbasar zum Alten Pfarrhof gebracht. Dort stehen in einer alten Spülküche ein paar Teekisten, in denen die Leute Sachen abladen können, die sie nicht mehr brauchen. Die Hintertür war, wie gewöhnlich bei Tageslicht, offen, deswegen brauchte ich nicht zu klopfen. Unter anderen Schuhen habe ich dort auch ein Paar Bumbles gesehen. Oder genauer gesagt, den Absatz
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