Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorsatz und Begierde (German Edition)

Vorsatz und Begierde (German Edition)

Titel: Vorsatz und Begierde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
Vom Netzwerk:
wie eine Lumpenpuppe. Alles, was ich wahrnahm, waren diese albernen gelben Hummelsymbole unter den Absätzen seiner Turnschuhe. Gott, war ich froh, daß ich die verdammten Dinger los wurde!«
    Also hatte Gledhill keine Schutzkleidung getragen. Der Selbstmord war nicht hundertprozentig spontan gewesen.
    »Er muß ein guter Kletterer gewesen sein«, meinte Dalgliesh.
    »O ja, Toby konnte klettern! Und das war die geringste seiner Begabungen.«
    Dann fuhr Lessingham, ohne spürbare Veränderung seines Tones, mit der Beschreibung des Reaktors und des Ladevorgangs im Reaktorkern fort. Fünf Minuten später kehrte Mair zu ihnen zurück. Nach Beendigung des Rundgangs, auf dem Weg in sein Büro, fragte er plötzlich: »Haben Sie schon mal von Richard Feynman gehört?«
    »Dem amerikanischen Physiker? Vor ein paar Monaten habe ich eine Fernsehsendung über ihn gesehen, sonst hätte mir der Name überhaupt nichts gesagt.«
    »Feynman sagt: ›Die Wahrheit ist weit wunderbarer, als es sich irgendein Künstler der Vergangenheit vorzustellen vermochte. Warum sprechen die Dichter der Gegenwart nicht davon?‹ Sie sind ein Dichter, doch dieser Ort, die Kraft, die er produziert, die Schönheit der Technik, ihre einmalige Erhabenheit interessiert Sie nicht sonderlich, nicht wahr? Weder Sie noch einen anderen Dichter.«
    »Sie interessiert mich. Das heißt aber nicht, daß ich Lyrik daraus machen kann.«
    »Nein, Ihre Themen sind berechenbarer, nicht wahr? Und dieser arme Teufel, der Whistler von Norfolk, ist vermutlich auch nicht sehr lyrisch.«
    »Er ist menschlich. Und dadurch ein passendes Thema für die Lyrik.«
    »Aber keines, das Sie wählen würden?«
    Dalgliesh hätte ihm nun erwidern können, daß ein Dichter nicht sein Thema, sondern das Thema den Dichter wählt. Aber einer der Gründe für seine Flucht nach Norfolk war es gewesen, Diskussionen über Lyrik aus dem Weg zu gehen, und selbst wenn es ihm Freude gemacht hätte, über seine Arbeit zu sprechen, hätte er es bestimmt nicht mit Alex Mair getan. Aber er wunderte sich, wie wenig ihn die Fragen gestört hatten. Es war zwar schwierig, diesen Mann zu mögen, aber es war unmöglich, ihn nicht zu respektieren. Und wenn er Hilary Robarts ermordet hatte, sah sich Rikkards wohl mit einem nicht zu unterschätzenden Gegner konfrontiert.
    Während er die Aschenreste aus dem Kamin kehrte, erinnerte sich Dalgliesh wieder mit außerordentlicher Deutlichkeit an den Moment, als er mit Lessingham da oben gestanden und in den finsteren Laderaum des Reaktors hinabgeblickt hatte, unter dem lautlos diese gewaltige und geheimnisvolle Kraft wirkte. Und er fragte sich, wie lange es dauern würde, bis Rikkards sich überlegte, warum der Mörder ausgerechnet dieses spezielle Paar Schuhe gewählt hatte.

37
    Rikkards wußte, daß Dalgliesh recht hatte: Es wäre eine ungerechtfertigte Störung gewesen, Mrs. Dennison so spät in der Nacht aufzusuchen. Aber er konnte nicht am Alten Pfarrhof vorüberfahren, ohne wenigstens etwas langsamer zu werden und nachzusehen, ob es da irgendwo ein Zeichen dafür gab, daß noch jemand wach war. Es gab keins; das Haus stand dunkel und schweigend hinter den windzerzausten Büschen. Als er sein eigenes dunkles Haus betrat, überkam ihn plötzlich eine unüberwindliche Müdigkeit. Aber er hatte noch Papierkram zu erledigen, bevor er zu Bett gehen konnte, darunter seinen Abschlußbericht über die Whistler-Untersuchung; unbequeme Fragen waren zu beantworten, und es galt, eine Rechtfertigung zu konzipieren, die eine Chance hatte, privaten und öffentlichen Vorwürfen hinsichtlich polizeilicher Inkompetenz, ungenügender Beaufsichtigung, zu weit gehender Abhängigkeit von der Technologie und zuwenig guter alter Detektivarbeit standzuhalten. Es war fast 4, als er aus den Kleidern stieg und sich bäuchlings aufs Bett warf. Irgendwann im Verlauf der Nacht mußte er gemerkt haben, daß er fror, denn als er aufwachte, entdeckte er, daß er unter der Bettdecke lag, und als er die Hand nach der Nachttischlampe ausstreckte, sah er zu seinem Schrecken, daß er verschlafen hatte und es schon kurz vor 8 Uhr war. Sofort hellwach, warf er die Bettdecke zurück und stolperte zum Toilettentisch seiner Frau, um sich dort im Spiegel zu betrachten. Der nierenförmige Toilettentisch war mit rosa-weißem Voile verziert, das hübsche Set aus Ringständer und Schale stand an seinem Platz, eine ausgestopfte Puppe, die Susie als Kind auf einer Kirmes gewonnen hatte, hing an einer Seite

Weitere Kostenlose Bücher