Vorsatz und Begierde
Und bei der Beerdigung hat er fast kein Wort gesagt.«
Aber Rikkards hätte sich bestimmt Adam Dalgliesh anvertraut, das wußte sie. »Ich glaube kaum, daß Alex Mair ein Mann ist, der vor unbequemen Tatsachen die Augen verschließt«, gab Dalgliesh zurück. »Er muß die Wahrheit kennen. Doch das bedeutet nicht, daß er sie der Polizei gegenüber zugibt. Offiziell akzeptiert er deren Version, daß die Mörderin tot ist und daß es inzwischen unmöglich ist zu beweisen, ob Amy Camm, Caroline Amphlett oder Alice Mair die Mörderin war. Die Schwierigkeit besteht darin, daß es noch immer keine Spur von stichhaltigen Beweisen gibt, die Miss Mair mit Hilary Robarts’ Tod in Verbindung bringen könnten, und ganz gewiß nicht genügend Indizien, um sie posthum als Mörderin zu brandmarken. Hätte sie den Brand überlebt und ihr Geständnis Ihnen gegenüber zurückgezogen, bezweifle ich, daß Rikkards Gründe genug gefunden hätte, sie zu verhaften. Das veröffentlichte Ergebnis der Brandfahndung bestätigt, daß das Feuer, während sie kochte, möglicherweise ein neues Rezept ausprobierte, durch eine umgestürzte Pfanne mit heißem Fett ausgelöst wurde.«
»Und das alles beruht auf meiner Aussage, nicht wahr? Auf der nicht sehr wahrscheinlichen Geschichte einer Frau, die schon früher in Schwierigkeiten war und einen Nervenzusammenbruch hinter sich hat. Das kam überdeutlich zum Ausdruck, als ich befragt wurde. Inspector Rikkards schien sich völlig auf unsere Freundschaft zu konzentrieren, wollte unbedingt wissen, ob ich etwas gegen Alice hätte, ob wir uns gestritten hätten. Und nachdem er fertig war, wußte ich nicht mehr, ob er mich für eine boshafte Lügnerin oder für eine Komplizin hielt.«
Sogar dreieinhalb Monate nach dem Tod der Freundin fiel es ihr schwer, ohne die vertraute Mischung aus Schmerz, Angst und Zorn an diese endlosen Vernehmungen zu denken. Immer und immer wieder hatte sie ihre Story erzählen müssen, immer und immer wieder unter diesen durchdringenden, skeptischen Blicken. Dabei konnte sie durchaus verstehen, warum Rikkards ihr einfach nicht glauben wollte. Es war ihr noch niemals leichtgefallen, überzeugend zu lügen, und er wußte, daß sie log. Aber warum, hatte er sie gefragt. Welchen Grund hatte ihr Alice Mair für den Mord genannt? Was war ihr Motiv? Niemand konnte ihren Bruder zwingen, Hilary Robarts zu heiraten. Und schließlich war er ja schon einmal verheiratet gewesen. Seine Ex-Frau lebte noch und war gesund, warum also fand sie diese Ehe so unmöglich? Aber sie hatte es ihm nicht gesagt, nur immer wieder, daß Alice diese Ehe verhindern wollte. Sie hatte versprochen, nichts zu sagen, und würde auch niemals etwas sagen, nicht einmal zu Adam Dalgliesh, dem einzigen Mann, der sie möglicherweise dazu hätte überreden können. Einmal, als sie ihn im Krankenhaus besuchte, hatte sie unvermittelt zu ihm gesagt: »Sie wissen es, nicht wahr?«
Und er hatte erwidert: »Nein, ich weiß es nicht, aber ich kann es mir denken. Erpressung ist kein außergewöhnliches Motiv für einen Mord.«
Aber er hatte keine Fragen gestellt, und dafür war sie ihm aufrichtig dankbar. Sie wußte jetzt, daß Alice ihr nur die Wahrheit gesagt hatte, weil Meg, ihren ursprünglichen Plänen zufolge, am nächsten Tag nicht mehr am Leben gewesen wäre. Weil sie sich vorgenommen hatte, mit der Freundin zusammen zu sterben. Zuletzt aber hatte sie einen Rückzieher gemacht. Sie hatte ihr den höchstwahrscheinlich mit ihren Schlaftabletten versetzten Whisky sanft, aber energisch aus der Hand genommen.
Zu guter Letzt hatte Alice treu zu ihrer Freundin gehalten, deswegen wollte Meg genauso treu zu ihr halten. Sie schulde ihrem Bruder einen Tod, hatte Alice gesagt. Darüber hatte Meg lange nachgedacht, vermochte aber keinen Sinn in die Worte zu bringen. Doch wenn Alice Alex einen Tod schuldete, schuldete Meg ihrer Freundin Treue und Schweigen. Laut sagte sie: »Wenn die Renovierungsarbeiten fertig sind, würde ich gern Martyr’s Cottage kaufen. Da ich aus dem Verkauf des Londoner Hauses etwas Kapital besitze, brauche ich nichts weiter als eine kleine Hypothek. Im Sommer würde ich das Haus, um die Ausgaben zu verringern, zeitweise vermieten. Und dann, wenn die Copleys mich nicht mehr brauchen, könnte ich selbst dort einziehen. Der Gedanke, daß dieses Haus auf mich wartet, ist wunderschön.« Falls er sich wunderte, daß sie an den Schauplatz so traumatischer Erinnerungen zurückkehren wollte, sprach er es nicht
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