Vorstoß in die Schattenzone
Bilder verrieten noch mehr, sie zeigten auch die tiefere Bedeutung der sieben Fixpunkte. Mythor hatte es schon lange geahnt, dass sie mehr als nur Waffen zu bieten hatten, und das Orakel von Theran und Vangard hatten ihm dies bestätigt.
Die volle Wahrheit aber erfuhr er erst jetzt, und trotz seines Ahnens überwältigte sie ihn. Er sah wieder ganz deutlich die Zeichnung vor sich, die er in Theran von den Orakeltrollen bekommen hatte. Darauf waren die sieben Stützpunkte in Form einer Pyramide eingezeichnet.
Die oberste Stufe mit der Wellenlinie stellte die Gruft der Gwasamee dar. Diese Wellenlinie bezeichnete gleichzeitig die Wasserfälle von Cythor wie auch den Verstand und dessen Wissen und bedeutete auch noch Wärme.
Das Fünfeck und der Doppelbogen der nächsttieferen Pyramidenstufe fanden sich auch in der Klinge des Gläsernen Schwertes. Sie waren also das Symbol für die Lichtburg, standen aber auch gleichzeitig für den Geist und das Wesen – und ihre Entsprechung war das Licht.
Der Helm mit dem eingeschlossenen Auge wies auf Althars Wolkenhort und den Helm der Gerechten hin, war aber gleichzeitig auch das Symbol für die Sinne ganz allgemein: das Sehen, das Hören, das Begreifen. Und es war der Ton, in dem sie als Oberbegriff zusammengefasst waren.
Zusammen standen diese drei Fixpunkte aber für das Nicht-Greifbare, für das Unsichtbare.
Die nächsten drei Stufen dagegen vereinten in sich das Greifbare, das Stoffliche, das Sichtbare der Welt, das Lebendige, selbst wenn es in »toter« Materie verewigt war.
Es war auf einmal ganz klar für Mythor, dass das Verwunschene Tal, dieser vierte Fixpunkt, das Symbol für die Tierwelt war. Und der Baum des Lebens verkörperte die Pflanzenwelt, so wie der Koloss von Tillorn die Stoffwelt ganz allgemein.
Somit war in diesen sechs Fixpunkten ein großer Teil dessen verewigt, was die Welt ausmachte. Doch fehlte noch etwas, der letzte Funke, das Elementare, das die Vielfalt der Welt ausmachte.
Und diese Elemente – Feuer, Wasser, Stein und Luft -waren im Grabmal des Lichtboten zusammengefasst. Und dieser siebte Fixpunkt bildete gleichzeitig die Basis der Lebenspyramide wie auch die Erhöhung aller dieser Werte.
Das war es also, was die sieben Stützpunkte des Lichtboten wirklich und über die Waffen hinaus zu bieten hatten. Die Orakeltrolle von Theran hatten Mythor mit dem Pyramidenleder einen wichtigen Hinweis darauf geben, doch er konnte seine Bedeutung erst jetzt erkennen, obwohl es gar nicht mehr in seinem Besitz war. Jener dagegen, der es nun besaß, würde damit nichts anfangen können.
»Armer Albion«, sagte Mythor laut. »Du glaubst, das Orakelleder ist dazu da, dir alle Tore zu öffnen. Dabei hat es dir nichts zu sagen. Und was ist für dich das Gläserne Schwert Alton anderes als ein Kampfwerkzeug, mit dem man Schädel spalten kann? Du weißt nicht, dass Alton auch gleichzeitig Träger deines Geistes wie auch deines Ichs und das Spiegelbild deines Wesens ist. Du weißt es nicht, aber du wirst diese Wahrheit anerkennen müssen – wie schon Luxon vor dir. Armer Albion…«
Aus Mythor sprach keine Überheblichkeit, diese Erkenntnisse festigten ihn nur. Und es strömten derer noch viel mehr auf ihn ein. Etwa das Erkennen, dass dieses Wissen um die Lebensvorgänge die Grundlage aller Magie war. Er sagte es laut: »Nur wenn du das Wesen der Dinge begreifen und durchschauen lernst, kannst du darangehen, sie zu formen und zu verändern. Doch dabei ist eines zu beachten: Es muss alles im Gleichgewicht bleiben, alles muss eine Entsprechung haben.«
Denn es gab kein Licht ohne Schatten, nichts, was nicht auch ein Spiegelbild werfen konnte. Nahm man den Dingen ihre Schatten oder Spiegelbilder, dann mussten sie morbid werden und zerfallen.
Das Orakelleder vom Fell des Siebenläufers machte es deutlich, dass jedes Ding zwei Seiten hatte: Während es auf der einen Seite die eingeprägten Symbole hell zeigte, waren sie auf der anderen Seite erhaben und dunkel. Es gab nichts Helles ohne eine dunkle Entsprechung – einen Gegensatz. Für eine positive Form gab es auch eine negative…
Mythor merkte, wie er unwillkürlich in der Sprache der Magier zu denken begann, obwohl er wusste, dass er bei aller Erkenntnis nicht in der Lage war, eine magische Tat zu setzen. Aber er besaß nun die Voraussetzung, das DRAGOMAE handhaben zu können.
Albion dagegen brachte von alledem nichts mit. Woher sollte er es auch haben, wusste er doch nicht, dass man die Schritte in der
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