Vorzeitsaga 02 - Das Volk des Feuers
auch dieses Kind noch zu verlieren. Schwerer Biber hat uns so weit gebracht, daß wir unsere eigenen Kinder umbringen ! Wir töten unsere kleinen Mädchen! Wie, glaubst du, wird Tanzende Hirschkuh je mit dem Tod ihres Kindes leben können? Wir sterben alle!« Unerschütterlich hörte sich die alte Frau den über sie hereinbrechenden Wortschwall an.
Dann wiederholte sie: »Entscheide dich. Das Schicksal unterwirft die Menschen. Das mußt du akzeptieren und lernen, damit umzugehen. Was wirst du machen? Wirst du das Fleisch essen, deinen Sohn damit ernähren, den anderen ein Beispiel geben? »Wir brauchen einen Anführer. Vielleicht wärst du die Richtige dafür.«
»Und wenn ich Schwerer Biber herausfordere? Wenn er mich verflucht? Ich meine, ich… Er könnte mich töten.«
Wildkirsche verschränkte die Arme. Mit sanfter Stimme fragte sie:
»Glaubst du das? Glaubst du wirklich, er könnte dich töten?«
Salbeiwurzel wurde schwindlig bei diesem Gedanken. Die Herausforderung der alten Frau, die eine trotzige Pose eingenommen hatte, war unverkennbar. »Er ist ein Schamane, ein…« Sie brach ab und erinnerte sich, daß sie nie viel von Schwerer Biber gehalten hatte. »Du glaubst nicht, daß er das könnte?«
Wildkirsche zuckte mit den mageren Schultern. »Vielleicht.« Eine Pause folgte. »Wenn du glaubst, er kann es, dann gelingt es ihm.
Aber es liegt allein an dir. Ich weiß nicht viel über magische Macht, aber ich weiß, man kann sich dagegen wappnen. Ich weiß, du kannst zurückschlagen. Ich weiß aber auch, daß du dich unterwerfen kannst - und sterben - falls du von seiner Macht überzeugt bist.
Was glaubst du wirklich? Du kennst Schwerer Biber. Du weißt, was für ein Mann er ist. Du bist mit ihm aufgewachsen. Glaubst du wirklich, die Macht wäre nach Hornmarks Tod einfach auf ihn übergegangen?« Zur Unterstreichung ihrer Worte schnalzte sie mit ihren Fingern.
Salbeiwurzel griff nervös in ihr Haar und drehte einige Strähnen zu einem dicken Strang zusammen.
»Ich habe erst angefangen, ihn ernst zu nehmen, als er Visionen hatte.«
»Ah-ha.«
Finster blickte Salbeiwurzel hinauf zum nächtlichen Himmel. Das glitzernde Licht des sich füllenden Sternennetzes beruhigte sie.
»Er hätte keine Geistermacht bekommen, wenn er sie nicht verdient hätte.«
Wildkirsche legte eine Hand auf ihren Arm. »Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich weiß nicht, was vor sich geht, warum das Wild verschwindet. Ich weiß nur, Schwerer Biber war schon immer seltsam.
Ich habe ihn als Kind beobachtet, so, wie ein Erwachsener eben an der Entwicklung eines fremden Kindes Anteil nimmt. Also, ich weiß nicht. Seine Mutter hat ihn stets in Schutz genommen. Sie trampelte auf seinem Vater herum wie ein Büffel auf der Weide. Sie hielt den Jungen vom normalen Leben fern, er durfte nie mit anderen Kindern spielen. Sie ließ nicht zu, daß er sich einer Gruppe anschloß. Stets focht sie seine Schlachten für ihn aus. Weißt du, was Schwerer Bibers Vater getan hat?
Er ist fortgegangen. Er nahm, was er auf dem Rücken tragen konnte und verschwand aus ihrem Zelt.
Das letzte, was ich von ihm gehört habe, war, daß er irgendwo im Osten gestorben ist, bei Zwei Steines Leuten.«
»Eine seltsame Erziehung. Trotzdem, Schwerer Biber ist doch kein junger Hund.«
»Männer und Hunde unterscheiden sich nicht. Schlag einen, und er wird niederträchtig. Halt einen vom Rudel fern, und er wird sich niemals in eine Gruppe einfügen. Er wird nie seinen Platz unter den anderen finden.«
»Du glaubst, er ist…«
»Nicht ganz richtig im Kopf?« Wildkirsche warf die Arme in die Luft. »Woher soll ich das wissen?
Mädchen, wir haben soviel verloren, vielleicht haben wir auch den Weg zur Macht der Geister verloren. Hornmark sorgte sich sein Leben lang, weil er nicht alles verstand. Aber er versuchte es mit ganzem Herzen und ganzer Seele.
Er hat alles gegeben, aber einmal erzählte er mir, seiner Seele fehle das Feuer - und das beunruhigte ihn. Ein Mensch mit Geistermacht kann mit dem Feuer tanzen und mit den Sternen singen.«
Salbeiwurzel senkte den Kopf. »Kannst du dir vorstellen, daß Schwerer Biber mit dem Feuer tanzt?«
Wildkirsche kicherte bei dieser Vorstellung. »Kaum.« Sogleich wurde sie wieder ernst. »Das Volk wartet.«
»Und die Antilopen. Ich … kann beinahe …«
Ja?«
Verwirrt versuchte Salbeiwurzel, sich über ihre weiteren Worte klarzuwerden. »Ich weiß nicht. Ich kann sie nur fühlen. Das ist alles.
Überall lauern
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