Vorzeitsaga 02 - Das Volk des Feuers
starrte ständig mit leerem Blick in die Ferne, Stunde um Stunde.
Werde ich auch so enden? Schwerer Biber hegte keinen besonderen Groll gegen Tanzende Hirschkuh.
Gegen sie aber sehr wohl.
Kühle Dunkelheit und die Stille der Nacht senkten sich auf sie herab. Das erste Funkeln des Sternennetzes erglomm am Horizont im Osten. »Warum ist das geschehen?« wandte sie sich an die aufgehenden Sterne. »Ich habe doch nur Nahrung für meine Leute beschafft!«
Der Wind spielte mit ihrem fransenbesetzten Ärmel, streichelte besänftigend ihre Haare und kitzelte aufmunternd ihre Wangen.
Unter ihr im dunklen Schatten des Hügelkamms lag, zum Trocknen auf dem Salbei ausgebreitet, ein Reichtum an herrlichem Antilopenfleisch. Die ganze Nacht heulten und jaulten die Kojoten, in Schach gehalten vom Geruch menschlichen Urins und den bedächtig wedelnden Armbewegungen der alten Frauen, die das Fleisch bewachten. Hier und da blitzten aus der Trockenrinne die bernsteingelben Augen der nächtlichen Feuer. In ihrem flackernden Schein saßen die Leute dicht zusammengedrängt und unterhielten sich gestenreich. Sie diskutierten und stritten miteinander. Von ihrem Platz aus konnte sie die Worte nicht verstehen. Sie hörte nur die geflüsterte Unterhaltung, ein undeutliches Gemurmel.
Eine bedrückende Stimmung lastete auf dem Ort des Gemetzels. Eine unbehagliche Vorahnung legte sich auf Salbeiwurzels Brust wie blauer Rauch von den Winterfeuern an einem klirrend kalten Morgen.
Sie schluckte. Die Geister der erschlagenen Antilopen lauerten über ihr in der kühlen Luft. Eine Gänsehaut überlief sie, als die Leute, sie beobachtend, von unten heraufschauten. Unter der von ihren prüfenden Blicken ausgehenden Kraft sträubten sich ihre Nackenhaare.
Alle warteten … auf sie.
Das leichte Knirschen von Kieselsteinen und das schabende Geräusch von unter gegerbten Mokassins zertretenem Salbei riß sie aus ihren Gedanken. Eine Frau kletterte vom Arroyo herauf.
Salbeiwurzel wappnete sich für die Begegnung. Sie spürte das Nahen der Entscheidung. Warum lag die Verantwortung bei ihr?
»Was wirst du machen?« fragte Wildkirsche atemlos, nachdem sie das letzte Stück des Hangs heraufgekeucht war. Sie preßte ihre runzligen Hände gegen ihr Kreuz, straffte den Rücken und zuckte beim Geräusch ihrer krachenden Gelenke zusammen. Die alte Frau reckte den Hals und blickte über die im Dunkeln liegende Senke, wo die Gruppe besorgter Menschen auf die Entscheidung wartete.
Seufzend rieb Salbeiwurzel über den langen Streifen getrockneten Blutes, der ihre Hand verkrustete.
»Ich weiß es nicht. Alle haben Angst. Er hat das Fleisch mit einem Fluch belegt.«
Als Antwort gab Wildkirsche nur ein undeutliches Grunzen von sich.
»Ich weiß, ich habe die Antilopen nicht beleidigt. Ich weiß es eben. Ich blickte in die Augen der Kuh.
Unsere Seelen fanden sich, und sie verstand. Ich sah es! Ich weiß, die Antilopen mißgönnen uns das Fleisch nicht. Ich fühlte die Rechtmäßigkeit des Liedes, während ich es lautlos in meinem Kopf sang.«
Wildkirsche nickte, eine ruckartige Bewegung, die an die eines Vogels erinnerte. »Dann ist das Fleisch in Ordnung.«
»Und was ist mit Schwerer Bibers Fluch?«
Schmatzend zog Wildkirsche die schmalen Lippen über den zahnlosen Kiefer. »Was damit ist?« Sie zögerte unbehaglich. »Ich glaube, er ist darauf aus, dich auf die eine oder andere Art dranzukriegen.«
Salbeiwurzel nickte. Ein eiskalter Hauch legte sich auf ihre traurige Seele. »Ich kann nicht gewinnen, nicht wahr? Es gibt keinen Ausweg. Entweder verzichte ich auf das Antilopenfleisch, oder ich fordere Schwerer Biber heraus.«
»So ist es.«
»Was soll ich bloß machen? Sag mir, was ich…«
»Das kann ich nicht. Die Verantwortung ruht auf deinen Schultern, Mädchen.«
Salbeiwurzel trat näher und blickte durchdringend in das in der Dunkelheit kaum erkennbare Gesicht der alten Frau. »Ich - ich bin kein Geisterträumer. Ich bin nur… ich.«
Wildkirsche nickte. »Nur du. Und das ist deine Entscheidung. Du hast die Antilopen getötet. Schwerer Biber nutzt diese Gelegenheit, um dich zu vernichten. Er…«
»Wir hungern! Ich weigere mich, zuzusehen, wie das Gesicht meines Sohnes immer weiter auszehrt!
Ich weigere mich, tatenlos zuzusehen, wie seine Rippen täglich stärker hervortreten, wie seine Glieder schwächer und schwächer werden! Sieh in die Augen der Kinder, Wildkirsche! Sieh sie dir an! Ich habe zwei Babys verloren. Zwei! Ich denke nicht daran,
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