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Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Titel: Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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bemerkte Bunte Krähe.
    »Die Leute wundern sich, was mit den Ältesten geschehen ist, sie wissen von meiner Suche nach der Vision.«
    Grüne Spinne spürte die wachsende Unruhe. Konnten die Rituale ordnungsgemäß stattfinden, auch ohne Leitung der Ältesten? War der Beginn des Frühlings in Gefahr? Und was bedeutete das für das Volk?
    Der Geist von Grüne Spinne schnellte empor und schoß in einer Spirale über die Erdwerke.
    Verstanden sie es denn nicht? Es bedeutete, daß sein Verlangen gestillt sein würde. Er würde die Fähigkeit haben zu vermitteln, ihnen zu helfen, er würde Gewalt über das Wetter und die Stürme, über Krankheiten und Verletzungen haben. Er versuchte, alles auf einmal zu sehen, die Gesamtheit aller Clanbesitzungen, für die er fortan verantwortlich sein würde.
    Jenseits der Stadt der Toten standen vereinzelt Häuser, und unregelmäßig verteilte Ackerflächen lagen unter einer Frostdecke. Drei Monde mußten noch vergehen, bis Vater Sonne hoch genug aufgestiegen war, um den Winter zu verbannen; dann würde man den fruchtbaren Boden pflügen, Kürbis anbauen und Maigras und Sumpfholunder zur Frühjahrsernte sammeln können. Man würde Knöterich- und Gänsefußsamen sehr genau prüfen, bevor man sie mit zugespitzten Pflanzstöcken in die fette, rotbraune Erde stieß.
    Entlang der Südgrenze der Stadt wand sich der Hirschfluß durch sumpfigen Grund. Fischwehre ragten empor, und Muschelbeete lagen unter dem eisverklumpten braunen Wasser. Verkrusteter Schnee überzog die Laubmatten, das Riedgras und die Schilfrohre, die den trüben Fluß säumten. An den Anlegestellen waren Kanus aufs Land gezogen. Trockengestelle standen für die nächste Ernte bereit, deren Erträge Schiffe heranbringen würden.
    Hinter diesen trüben Wasserläufen erstreckte sich der Besitz des Sonnenclans. Auch dort traten die Menschen hinter den Türvorhängen hervor, um diesen besonderen Morgen zu begrüßen. Viele beteten die Sonne an und blickten nach Norden, zu dem hohen zentralen Hügel, der das gegenüberliegende Ufer beherrschte.
    Grüne Spinne spürte die Unruhe in ihnen, als ob jeder einzelne ahnte, wie schwer die Macht wog.
    »Macht euch keine Sorgen, ich träume für euch«, versprach er ihnen. »Ich werde dafür sorgen, ich werde euch das Leben leichter machen.«
    Wenn du stark genug bist! ermahnte ihn Bunte Krähe. An deiner Stelle, Träumer, würde ich nichts versprechen, von dem ich nicht weiß, ob ich es auch halten kann. Mein Bruder nennt mich einen Narren, weil ich mich für einen Mann entscheide - aber er hat ja auch seine Entscheidung getroffen.
    Er hat auch nicht mehr Verstand als ich.
    »Ich werde meine Versprechen halten.«
    Und dem Geist der Macht helfen, daß er seines halten kann?
    »Ja! Ja!« Das Vergnügen des Fliegens erfüllte ihn, und mit jedem Schlag seiner glänzenden schwarzen Flügel wuchs seine Wonne.
    In ihren gemütlichen Unterkünften aßen die Leute ihr tägliches Mahl aus Pecannüssen, den Früchten des Hickorybaums, getrockneten Beeren oder gemahlenen Gänsefußsamen aus den großen Tonschalen, die sie unter den Schlafbänken aufbewahrten. Manche holten Kürbis aus ausgehöhlten Lagerstellen im Boden, andere entfachten Feuer in ihrem Ofen.
    Hie und da glitt ein Kanu auf dem Moorgewässer vorbei. Die Gespräche drehten sich nur darum, daß die Ältesten der Clans fehlten. Ausrufe der Verwunderung wurden laut, als die Leute mit aufgerissenen Augen zum Tempel blickten.
    »Es ist alles in Ordnung«, rief Grüne Spinne, aber seine Stimme verlor sich in den Wolken. »Ich habe meine Vision bekommen! Von nun an wird alles besser! Ich bin es, der alles besser machen kann.«
    ja, vielleicht kannst du das. Die Gerechtigkeit erfordert es, daß ich dir etwas mitteile, Grüne Spinne.
    Wenn du wirklich stark genug bist, um das zu tun, was ich verlange, dann wirst du nie mehr so sein, wie du gewesen bist.
    »Ich will die Macht!« rief Grüne Spinne abermals. »Ich werde alles tun, wenn du mich die Wahrheit erkennen läßt!«
    Um die Wahrheit zu erkennen, mußt du sterben - alles, was du bist, muß sterben. Kannst du dich selbst vernichten, um zu finden, was du suchst?
    Trotz wachsender Unruhe und Verwirrung blieben die Menschen, die aus fernen Clangebieten angereist waren, an den Feuern sitzen und erzählten sich die Geschichten des Winters, so etwa, daß Bunte Krähe die Geister gerufen und sie in das Feuer auf dem Berg gelockt hatte.
    Die Toten wußten so viel mehr als die Lebenden.

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