Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
Krieger. Wir werden unser Vergnügen haben, einer nach dem anderen. Jeder bekommt seinen Anteil. Zuerst unterhalten uns die Frauen, und dann, wenn wir genug haben, lassen wir sie zusehen, wie wir ihre Männer zum Schreien bringen.«
»Mut!« flüsterte Schwarzschädel, als zwei Krieger Sternmuschel an den Armen packten und sie zum Feuer stießen, vor dem schon Perle trotzig stand.
Also schön, Sternmuschel. Sie warf einen Blick auf Perle. Kannst du so stark sein wie diese Frau?
Bei einem gewaltigen Ahorn, dreimal zehn Schritte weit weg, stießen die Krieger Schwarzschädel und Otter roh auf die Erde, zwangen sie, sich auf den Bauch zu legen. Dann zogen sie ihre Beine hoch, die Arme nach hinten und banden ihnen Hände und Füße zusammen.
Der große Mann mit den Bärenzähnen am Halsband lächelte Sternmuschel an. »Dich nehme ich zuerst, schöne Schlangenfrau.« Sie schloß die Augen, als er mit der Hand über ihr Gesicht strich.
»Das denkst du«, sagte sie. »Warte nur…«
»Nein, du wartest!« schrie er, packte sie an den Schultern und warf sie auf die Erde, wo er sich grinsend auf sie legte. Mit einer Hand und einem Knie preßte er ihre Arme auf den Boden. Mit seiner freien Hand betastete er grob ihre Brüste. »Ich habe noch nie eine so schöne Frau wie dich gehabt.
Vielleicht behalte ich deinen Schädel für mich, wenn das alles vorbei ist. Hm?«
Aus dem Wald war plötzlich eine eigenartige hohe Stimme zu hören. Sie sang, und eine Flöte begleitete sie. In der abendlichen Luft schwoll der Gesang an und ebbte wieder ab. Grizzlyzahn hatte schon die Finger in das Leder ihres Kleids gekrallt. Er wollte gerade die Nähte aufreißen, als er gespannt innehielt.
»Was bedeutet das?« fragte Grizzlyzahn, wälzte sich von Sternmuschel und stand auf, wachsam. Die Wachen konzentrierten sich jetzt nur auf den Wald und blickten unruhig umher.
»Was ist das für ein Klang?« lispelte Wolf der Toten durch seine Zahnlücke.
»Die Macht«, rief Otter. »Sternmuschel hat sie gerufen! Deshalb kamen wir her, und nun kannst du eine Kanuladung davon haben, Toter Wolf.«
Perle setzte sich auf und lachte. »Was glaubst du, blutsaugender Khota? Daß wir allein hier sind? Hast du jemals von Bunte Krähe gehört? Wir kamen her, um seine heilige Maske zu retten! Und wir haben sie. Glaubst du, unser Geisthelfer würde uns jetzt im Stich lassen?«
Das mußte der Verdreher sein, von dem Schwarzschädel gesprochen hatte, dachte Sternmuschel. Laut rief sie: »Bunte Krähe! Höre uns! Eine Tochter der Langschädel, deiner Kinder, bittet dich zu kommen. In meinen Adern fließt das Blut derer, die deine Maske hergestellt haben. Komm! Höre mich, Bunte Krähe. Komm! Tanze für uns, Bunte Krähe! Komm und tanze!«
Die Flötenmusik im Wald brach ab. Dann hörte Sternmuschel zu ihrem Entsetzen Silberwasser singen.
Sie kannte die Worte, kannte das Lied - und wußte, wo ihre kleine Tochter es gelernt hatte.
Aus den Schatten kam eine Gestalt, die sich wirbelnd und tanzend zu Silberwassers hellem Gesang bewegte.
Dreh dich, Sonnengott! komm herbei! Trage die Pflanze auf deinem Kopf. Trockne die Samen in dem Topf. Felsen und Himmel ziehen vorbei.
Die Gestalt stampfte und hüpfte, bei ihren Luftsprüngen die dünnen Arme weit ausgebreitet.
Sternmuschel konnte im glühenden Licht der untergehenden Sonne die Maske sehen, sah den langen, glänzenden Schnabel und die Federn, die sich um den Rand sträubten. Und die Macht!
Sternmuschel zitterte. Es war, als hätte die Maske die Dunkelheit aus den schattigen Winkeln im Wald, unterm Gebüsch und unter den Felsen eingesammelt und zu einem Geistwesen von ungeheuren Ausmaßen geformt. Sogar die Bäume schienen Platz zu machen, als die Maske zwischen ihnen wandelte.
Silberwassers kristallklare Stimme wurde lauter und hallte zitternd von den Bäumen wider.
Federn bunt und Totenklagen, Holz über Gräbern, in Erde gegraben. Faulheit und Mühsal, in Körben getragen. Sonnenmann und Frau, im Himmel getraut.
Die Gestalt von Bunte Krähe tanzte rückwärts Pirouetten, beschrieb einen Kreis und reckte sich, als wolle sie sich in den Himmel schwingen.
Die Khotakrieger standen wie in Trance versetzt, ihre Blicke auf die furchterregende Erscheinung geheftet.
Silberwassers Stimme erfüllte nun die Welt, frisch und süß, wie Schneeflocken auf der Zunge.
Aus lockerer Erde baut einen Berg.
Aus Schweiß und Schmerz entsteht das Werk.
Hoch emporragend aus der Flut.
Kein Geist ist darin, die Leber voll
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