Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
sie ankamen. Da oben, in den fernen nördlichen Bergen würden sie eine Heimat finden. Eisenholz grinste. »Sängerling behauptet, das hier sei der Weg, und Düne sagt, er habe wohl den Verstand verloren. Kein Mensch, der seine Sinne beisammen hätte, würde in so einem kalten Land leben.«
Nachtsonne lachte, und dieses Lachen schmolz Eisenholz' Herz. Es war lange her, daß er sie so herzlich und fröhlich hatte lachen hören.
Düne drohte Sängerling mit dem Wanderstab, und der Junge sprang mit einem kleinen Schrei zur Seite. Maisfaser lächelte über ihre Possen. Über ihre tief gebräunte Wange lief eine entstellende weiße Narbe.
Wir haben alle Narben. Maisfasers und meine sind nur leicht zu sehen.
»Ich muß zugeben«, erklärte Nachtsonne mit einem Seufzer, »ich liebe diese kühlen Berge. Die Kiefern, die Bäche, das Wild, das es im Überfluß gibt. Ich würde hier sehr glücklich sein, Eisenholz.« Eisenholz packte ihre Hand ganz fest. »Wo immer du bleiben willst, sag mir Bescheid. Dann fange ich an, Steine für ein Haus zu behauen.«
Sie legte ihren Arm um seine Hüften und zog ihn fest an sich. »Glaubst du den Gerüchten? Daß die Mogollon sich mit den Turmbauern vereinigt haben, um den Canyon des Rechten Wegs anzugreifen?« »Der Händler, der uns das erzählt hat, sagte, er habe nur gehört, daß sie den Canyon überfallen wollen - nicht, daß sie ihn schon überfallen haben. Spannerraupe hat ganz bestimmt dieselben Gerüchte gehört. Er wird sich schon vorsehen.« Eisenholz strich ihr zärtlich das lose Haar hinters Ohr. »Fehlt dir dein Zuhause so sehr?«
Nachtsonne wandte sich ab und ließ ihren Blick über die Kiefern und die knarrenden Espen gleiten. »Man kann die Verantwortung eines ganzen Lebens nicht vergessen. In gewisser Weise werde ich immer die Ehrwürdige Mutter von Krallenstadt sein. Daß ich mir über sie Sorgen mache, heißt noch nicht, daß ich dorthin zurückkehren möchte, mein Gemahl. Das will ich nicht. Es tut mir nur leid, daß ich unseren Platz noch nicht gefunden habe.«
»Wir finden ihn. Ich will weiter nach Norden gehen, weit weg vom Land des Rechten Wegs.« Nachtsonne legte ihren Kopf an seine Brust und umfaßte ihn noch fester. »Ich auch.« Düne, Sängerling und Maisfaser kamen nun näher, und Eisenholz hörte Düne sagen: »Du suchst nicht nach den Göttern, Junge, die Götter suchen nach dir. Und wenn sie dich gefunden haben, dann wünschst du dir meistens, sie hätten dich nicht gefunden.«
Sängerling schüttelte den Kopf. Er trug ein blaues Hemd und hatte sein Haar mit einer Schnur zurückgebunden. Das unterstrich die schmale Form seines Gesichts und die Größe seiner dunklen Augen. »Sie war sicher keine Göttin, Düne. Ich glaube, sie war eine Frau. Ein Menschenwesen.« »Menschenwesen leben nicht in Türkis-Höhlen, du Schwachkopf. Das tun nur Götter.« Eisenholz schaute nach Süden. In der Ferne, jenseits der gezackten Bergspitzen lagen die Türkis-Minen des Volkes vom Rechten Weg. Gab es tatsächlich so eine Höhle? Seit Sängerling die Geschichte von der Hüterin erzählt hatte, hatte Eisenholz sich vorzustellen versucht, wo die Höhle sein mochte. Lange Türkis-Adern waren selten und sehr wertvoll. Selbst wenn sie die Höhle fänden, wäre sie wahrscheinlich stark bewacht. Andererseits verfügte die Hüterin vermutlich über genügend geistige Macht, um die Höhle vor forschenden Blicken verborgen zu halten.
»Sie sah ganz wirklich aus, Düne«, sagte Sängerling mit Nachdruck, »das schwöre ich.« »Na schön«, sagte Maisfaser. »Wir werden es erst wissen, wenn wir weiter danach suchen.« Eisenholz seufzte tief auf. »Sängerling, glaubst du immer noch, es müßte einer dieser Gipfel sein?« Der junge Mann hob eine Hand über die Augen, um sie vor der blendenden Sonne zu schützen und betrachtete die zersplitterten Granitzinnen. »Ohne Schnee sehen sie ganz anders aus; jetzt sind die Wiesen grün, die Espen haben alle neue Blätter, aber ich bin so gut wie sicher.«
»Also gut«, sagte Eisenholz und ergriff wieder Nachtsonnes Hand. »Ich gehe voran.« Sie stiegen den Wildpfad hinauf, durch einen wispernden Espenhain, und stießen auf eine neue Bergwiese, die an einem Hang lag. Ein Kranz von Berberitzen umstand die hohen Gräser.
Als es anfing zu regnen, hörte der muskelbepackte Mann auf, Brennholz zu stapeln, um Atem zu holen. Und da erblickte er fünf Menschen, die den Wildpfad heraufkamen. Er runzelte die Stirn angesichts der tanzenden Reihe
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