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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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schüttelt. Ich beobachte die feinen purpurfarbenen Blütenblätter. Wenn Regentropfen ihre Gesichter streicheln, nicken sie.
    Und ich weiß, was sie sagen.
    Als es gestern abend zu regnen anfing, hatte ich einen Traum.
    Ich stand vor einer zugemauerten Tür, klopfte erst leise und schlug dann mit den Fäusten gegen die Steine, verlangte eine Antwort, wollte die Gründe wissen und schrie: »Du kannst dich nicht verstecken! Laß mich ein! Sag mir die Wahrheit! Laß mich ein!«
    Donnernd krachte die Mauer zusammen, die Steine barsten vor meinen Augen. Staubwolken wirbelten hoch, und einen Augenblick lang konnte ich nichts sehen. Dann…
    Ich war wie betäubt, meine erhobenen Fäuste bebten.
    Denn ich hatte von innen heraus geklopft.
    Ich sitze regungslos.
    Und schaue über das regengesättigte Land. Licht glitzert auf der Oberfläche jedes nassen Kiesels. Die Klippen unter mir sind flimmernde Silberplatten. Rinnsale schlammigen Wassers schimmern in den gewundenen Abflußgräben.
    Ich lege mich rücklings auf die feuchten Steine, und gegenüber dem weinenden Himmel breite ich weit meine Arme aus. Diese Tränen sind unbefleckt. Mögen sie durch mich hindurchsickern bis auf die Knochen.

13. K APITEL
    Sängerling zuckte zusammen, als er sich aufrichtete. Er hatte verkrümmten Beifuß aus dem Boden gerissen, und sein Rücken tat ihm so weh, als wären Yucca-Blätter hineingedrückt worden. Seine Arme schmerzten, und er hatte großen Durst. Er warf einen Blick auf Düne. Der alte heilige Mann lag mitten auf der Straße, den offenen zahnlosen Mund zu einem Grinsen verzerrt. Der Windjunge blies ihm spielerisch Sand über das hellbraune Hemd und in den aufgerissenen Schlund, was Düne nicht weiter zu stören schien.
    Sängerling wischte sich den Schweiß von der Stirn und schaute hinauf zum roten Felsen und dem großen gemalten Bild, das unter dem gezackten Rand verborgen hing. Der Maler mußte sich mit Seilen herabgelassen und in der Luft gehangen haben, als er sein Bild vollendete. Zwei bucklige Flötenspieler schmückten die Felswand, einer männlich, der andere weiblich. Der männliche hatte einen ungewöhnlich langen Penis. Der blaue Kopf der Flötenspielerin war unter eine große weiße Spirale gezeichnet. Die rote Farbe stammte von zerstampftem Hämatit, das Weiß von Gips oder vielleicht Kreide, und das Blau vermutlich von getrockneten Rittersporn-Blütenblättern. Sängerling lächelte. Wenn das der Fall war, würde die Flötenspielerin bald kopflos sein; Farben auf pflanzlicher Basis hielten sich bei weitem nicht so lange wie mineralische.
    Sein Blick streifte über die restliche Felsfassade, nach weiteren Malereien Ausschau haltend, und glitt dann nach Süden.
    Verwitterte Sandsteingrate, im Licht des Morgens lavendelfarben und purpurn glühend, erstreckten sich ins Unendliche. Graue Schatten fügten sich am Fuß der Klippen zusammen. Am fernen Horizont umhüllte ein unirdisch goldener Schein eine Felsspitze, die Düne den Holzfällerpenis nannte. Sängerling wandte sich um. Weit im Westen waren die Thlatsina-Berge, vom dunstigen Wolken bekrönt. Sehnsüchtig kniff er die Augen zusammen. Lag in diesem atemberaubenden Blau nicht eine glitzernde Türkishöhle vorborgen ?
    Bruchstücke aus diesem Traum kehrten jede Nacht wieder, und immer wieder durchlebte er die Schreie, die ärgerlichen Tritte, und noch einmal sah er die seltsame Frau …
    Sein Blick wanderte zu Düne zurück. Als was für ein Sklavenhalter hatte sich doch der Heimatlose entpuppt! Er hörte überhaupt nicht zu, wenn Sängerling ihm von sich selbst erzählte. Er hatte alles Essen verzehrt, das Sängerling mitgebracht hatte, anscheinend ohne Gewissensbisse. Tagelang durfte Sängerling nichts essen oder trinken, während Düne ihn brutal zum Arbeiten zwang. Der alte Mann hatte nur gelächelt und behauptet, er versuche lediglich, Sängerling beizubringen, wie man sich selbst vergißt.
    Es war eine Qual - und zugleich erstaunlich.
    Erst gestern hatte er Düne erzählt, wie oft er beim Gemeinschaftssingen gewesen sei und wieviel er dabei gelernt habe. Aber Düne hatte nur eine Braue hochgezogen und freundlich bemerkt: »Es muß schwierig sein, dich noch mit göttlicher Kraft aufzufüllen, wenn du schon so voll davon bist.« Sängerling riß ächzend an einem weiteren Strauch, bis er ihn aus dem Boden hatte. Er warf ihn auf einen hohen Haufen zu seiner Linken. Er wollte gerade wieder einen Strauch packen, als er eine Staubwolke sich von Süden nähern sah.

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