Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels
schnellen Schritten zu den Palisaden hinüber.
Er sah ihr nach; das Sonnenlicht tanzte auf ihren Hüften und filterte blaue Streifen aus ihrem glänzenden schwarzen Haar.
»Ah, schöne Muschelkamm, ich beginne, dich zu verstehen. Du und ich, welch ein Paar! Und Okeus reitet auf unseren Schultern - und lacht und lacht.«
Zwei
Neuntöter stand neben Jaguar am Anlegesteg. Eine eisige Brise blies vom Wasser her, und er zog seinen Federumhang fest um die Schultern. Der alte Mann keuchte und schnappte nach Luft. Die Kälte und der Wind setzten ihm zu, und er war längst nicht mehr so gut zu Fuß wie früher.
»Du weißt, was du zu tun hast?«, rief er zu Sonnenmuschel hinüber. Sie stieß das Kanu in tieferes Wasser und stieg in das wacklige Boot. Die Kälte hatte das Wasser dunkel gefärbt. Im Sommer war es undurchdringlich grün, und Neuntöter hatte noch nie verstanden, warum die Farbe sich mit den Jahreszeiten änderte.
Sonnenmuschel versuchte, das Kanu auf der Stelle zu halten. Sie rief: »Ich soll Steinknolle in Drei Myrten aufsuchen und ihm dieses Kupferstück geben.« Sie hielt ein glänzendes Stück Metall hoch und sandte den beiden Männern ein Lächeln. »Er soll Schwarzer Dorn und Wilder Fuchs nach Flache Perle bringen.«
»Und wenn Schwarzer Dorn nicht kommen will?«, rief Neuntöter.
»Dann werde ich ihm sagen, dass Jaguar auf dem Weg zu ihm ist, diesmal an der Spitze der Krieger von Flache Perle.«
»Sag ihm, dass wir den Verdacht gegen Wilder Fuchs fallen lassen!«, brüllte Jaguar. Er winkte Sonnenmuschel nach, als sie den schmalen Einbaum auf das offene Wasser hinaus lenkte.
»Den Verdacht gegen Wilder Fuchs fallen lassen?«, fragte Neuntöter sanft und warf Jaguar einen fragenden Blick zu.
»Oh, und das ist keine Lüge, Häuptling.« Der Alte lächelte verschmitzt. So oder so kommt die Wahrheit ans Licht. Und sollte der Junge am Ende mit gebrochenen Armen und Beinen ins Feuer geworfen werden, wird es keinen Zweifel an seiner Schuld geben.«
Neuntöter stützte die Hände in die Hüften. »Ich hoffe, du weißt, was du tust.«
»Alles zu seiner Zeit, Häuptling.« Jaguar zitterte vor Kälte. »Ich werde diese Angelegenheit noch vor der Sonnenwendfeier zum Abschluss bringen. Jetzt passen die Bausteine endlich zusammen. Wie bei einem Topf, der am Boden zerschellt; es dauert nur eine Weile, bis die Scherben wieder richtig zusammengesetzt sind.
Doch plötzlich steht es wieder vor uns, das Gefäß, als ob es nie zerbrochen wäre.«
»Aber es wird nie mehr Wasser halten,« warf Neuntöter ein.
»Natürlich nicht«, erwiderte Jaguar traurig. »Aber das wussten wir bereits, als der Topf hingefallen war, nicht wahr, Häuptling? Die Welt zerbrach, als ein Schlag Rote Schlinges Schädel zertrümmerte.
Für die Betroffenen wird nichts mehr so sein wie vorher, und erst recht nicht für den Mörder.«
»Du sprichst in Rätseln, Ältester.« Neuntöter sah, wie Sonnenmuschel um die Landspitze fuhr, und das Kanu wurde schließlich von den Bäumen, deren Äste dicht über dem Wasser hingen, verdeckt.
»Rätsel? Aber keineswegs.« Jaguar wandte sich um. »Komm, wir gehen zu deiner Schwester. Sie war gerade dabei, Kürbisbrei zu kochen, als ich dich bat, mich hier zu treffen.«
Zwischen den umgekippten Kanus hindurch gingen sie zurück. Inzwischen war es so warm geworden, dass der Schnee schmolz; auf dem Steg war der Boden rutschig. Neuntöters Mokassins sogen sich voll Wasser; er hatte kalte Füße.
»Ich verstehe immer noch nicht, warum du Schwarzer Dorn und Wilder Fuchs hier haben willst.«
Neuntöter schluckte schwer, als sein scharfer Verstand die einzig mögliche Erklärung fand.
»Möwenscheiße und Fledermausdreck! Du glaubst doch nicht…«
Jaguar verzog das Gesicht. Seine ledrige Haut war in der Kälte rot angelaufen. »Der junge Mann hat gelogen, Neuntöter. Ich drohte ihm damit, dass ich ihm in einem solchen Fall die Haut abziehen würde, aber dazu hätte ich auch nach Drei Myrten gehen können. Nein, ich brauche ihn hier! Er ist die Scherbe des Topfes, die uns noch fehlt, verstehst du? Er ist der Beweis, wenn du so willst.«
Neuntöter schnitt eine Grimasse. »Es fällt mir immer noch schwer zu glauben, dass er Rote Schlinge getötet hat. Nach allem, was wir wissen, war der Mörder ein anderer. Wahrscheinlicher scheint mir sogar, dass es die Weroansqua war.«
»Vielleicht ist es ihre Absicht, uns in diesem Glauben zu lassen. Wenn ich mit meinen Vermutungen richtig liege, wird die
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