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Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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plötzlich so bitterkalt geworden, als ob die Donnervögel hineingeflogen wären und in den Balken ihre Nester gebaut hätten. Er rieb sich die Oberarme und sah wieder hinauf zu dem Kind.
    Ein leises Zischen wie von einer Schlange huschte durch die Dunkelheit.
    Blauer Rabe spürte, wie ihm die Knie weich wurden. Das ärgerte und beschämte ihn, aber er konnte sich der plötzlichen Schwäche nicht erwehren. All die Geschichten, die Springender Dachs in den vergangenen vier Wintern erzählt hatte, kamen ihm wieder in Erinnerung, und ihn beschlich das furchtbare Gefühl dass nichts, was er mit Sicherheit zu wissen glaubte, noch sicher war.
    »Ich - ich bin Blauer Rabe, Oberhaupt dieses Dorfes«, sagte er. »Du wirst Falschgesicht-Kind genannt, ist das richtig?«
    Er zwang seine Beine, ein paar Schritte zu tun. Als er direkt unter dem Jungen stand, streifte er sich die Handschuhe ab, warf sie auf den Boden und streckte die Arme vom Körper ab, um zu zeigen, dass er keine Waffe in den Händen hielt - in seinem Gürtel steckte freilich ein Messer, das der Umhang verbarg. »Hast du noch einen anderen Namen? Einen Jungennamen?«
    Das Zischen wurde wieder laut, diesmal jedoch klang es eher wie ein Kratzen, aber es kam ganz deutlich von dem Jungen. Dann erstarb das Geräusch, und man hörte ein leises Klick-klick, Klick-klick. Das Geräusch von Krallen auf Holz. Sie bewegten sich vor und zurück, vorsichtig, wie ein Raubtier beim Anpirschen.
    Blauer Rabe ballte die Hände zu Fäusten, um nicht voreilig sein Messer zu ziehen. »Junge! Ich bin gekommen, um dir zu helfen! Verstehst du das?«
    Ein Tropfen Wasser fiel ihm auf die Stirn. Blauer Rabe blinzelte verwundert. Ein weiterer traf seine Schulter. Der nächste fiel auf den Lehmboden.
    Er runzelte nachdenklich die Stirn.
    … Tränen.
    Die Tränen eines kleinen Jungen.
    Leise rief er zu ihm hinauf: »Ich habe das nicht gewollt! Genauso wenig wie du. Was passiert ist, tut mir Leid. Bitte - lass mich dir helfen. Der Boden muss schrecklich weit entfernt aussehen von dort oben. Soll ich hinaufklettern und dich runterholen? Ich …«
    »Blauer Rabe?« rief Eichel. »Blauer Rabe, wir sind hier! Wir haben das ganze Dorf mitgebracht! Wir haben alle Bögen und Pfeile …«
    Das Falschgesicht-Kind stieß einen verhaltenen Laut aus, halb Stöhnen, halb Grollen, der Blauer Rabe an ein in einer Falle gefangenes Tier erinnerte. Das Blut pulsierte immer heftiger in seinen Adern. »Eichel?«, rief er zurück, doch sein Blick blieb an der verwachsenen schwarzen Silhouette oben im Gebälk haften. »Sorge dafür, dass alle draußen bleiben. Kommt erst rein, wenn ich euch rufe. Hast du verstanden?« Verängstigte Stimmen wurden laut, Fragen erhoben sich, und Staub wirbelte ins Versammlungshaus, als Dutzende nervöser Füße über den Boden scharrten.
    »Hast du verstanden?«, wiederholte Blauer Rabe. »Geht zurück bis zum Pfad und wartet dort, bis ich euch rufe.«
    »Aber Blauer Rabe, was ist, wenn …«
    »Stell jetzt keine Fragen. Wir unterhalten uns später darüber. Tu einfach, was ich dir sage. Bitte!« »Also gut… ja«, antwortete Eichel zögernd. »Mir… mir gefällt das nicht! Aber wir gehen.« Die Leute zogen sich zurück, ihre Stimmen verhallten, bis der Wind nur noch leises Gemurmel herantrug.
    Blauer Rabe versuchte wieder ruhiger zu atmen. Hoch über ihm, unter dem Dach, hing der Junge - schweigend und mit funkelnden Augen.
    »Ich klettere jetzt hinauf und hole dich, Junge.«
    »Nein!«
    »Ich werde dir nichts tun. Das verspreche ich dir.«
    Ein Mitleiderregendes Wispern drang an sein Ohr. »Du willst mich töten.«
    »Nein, nein. Du musst mir glauben. Ich habe das nie gewollt. Und mein Volk auch nicht. Wir wollten nur …«
    »Sie haben mein Dorf niedergebrannt! Ich hab's gesehen!«
    Ein unterdrückter Schrei erfüllte die Stille - Schluchzer, die gegen fest verschlossene Lippen drängten. »Ich schwöre dir, dass du hier sicher bist«, sagte Blauer Rabe. »Du kannst mir vertrauen, Junge. Ich habe noch nie ein Kind belogen.«
    Ganz vorsichtig näherte er sich einem Eckpfosten, einem dicken Stamm von zwei Hand Durchmesser. Schößlinge wanden sich um den Pfosten, die ihm Stabilität verliehen und als Leiter benutzt wurden, wenn etwas an den Wänden oder im Dachgebälk ausgebessert werden musste. Er hob ein Bein an und stellte den Fuß auf die erste Sprosse.
    »Ich komme jetzt rauf, Junge.«
    Je höher Blauer Rabe kletterte, desto deutlicher konnte er das kleinwüchsige Kind sehen.

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