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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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Stunde hatten diese Hände ihre gehalten, hatten ihre
Wange berührt und den Rand eines Ohrs. Sie hämmerte gegen das Autofenster,
aber er war zu weit weg, um es hören zu können. Endlich beendeten die beiden
Männer ihr Gespräch. Sie wirkten völlig leidenschaftslos, als sei kaum etwas
vorgefallen. Pavel kam auf das Auto zu, und trotz Lews Zischen kurbelte sie das
Fenster herunter. Pavel beugte sich vor und blickte ins Wageninnere. Seine
Augen lagen im Schatten.
    »Sie
werden euch gehen lassen. Alle drei. Peterson, Ihre Aufgabe ist es, den Briten
Foskos Tod zu erklären. Ohne Karpow oder seine Männer mit ins Spiel zu bringen.
Ich habe denen mein Wort gegeben, dass es Ihnen gelingen wird. Bei meinem
Leben, verstehen Sie?«
    »Ja,
natürlich.«
    »Bringen
Sie den Jungen ins Krankenhaus und geben Sie ihr das Geld. Alles, was Sie in
Foskos Villa finden können. Es gehört ihr. Können Sie das für mich tun?«
    Erst jetzt
ließ er sich dazu herab, sich ihr zuzuwenden. Er sah aus wie immer, die Augen
wie feuchte Kiesel und eine Stimme wie ein Wiegenlied.
    »Sonja?«
    Tränen
trübten ihren Blick. Sie hob die Hände, ballte sie zu Fäusten und vergrub das
Gesicht in ihnen.
    Wer zum Teufel bist du?, wollte sie fragen, brachte aber
nur das erste Wort heraus. Auf eine Antwort bestand keine Hoffnung.
    Einen
Augenblick später hörte sie den Jungen rufen, und sie wusste, Pavel war weg.
Sie hatte nicht mitbekommen, ob er sich einfach abgewandt hatte oder von den
Russen abgeführt worden war. Dann Lews Bellen: »Steigt alle aus, alle!« Anders
sorgte dafür, dass sie das Auto verließ. Er öffnete die Tür und hob ihr die
Füße auf die eisige Straße. Das Klacken hoher Absätze auf den Pflastersteinen.
Sie stand wie mechanisch auf und stellte sich auf die Kälte ein. Hinter ihnen
schlossen sich die Autotüren, Motoren wurden angelassen. Räder, die auf der
eisigen Straße durchdrehten. Dann Stille. Als sie sich endlich umdrehte, war
sie erleichtert, dass die Straße leer war.
    Sie hatten sogar daran gedacht, ihre Leiche mitzunehmen.
     
    3. und 4. Januar
1947
     
    E rst gingen
wir zum Krankenhaus. Ich hatte gedacht, Sonja würde sich weigern, mich zu
begleiten, aber sie trottete fügsam mit und hielt den Jungen bei der Hand.
Vielleicht war sie auf das Geld aus. Schulter an Schulter gingen wir schweigend
durch Berlins leere Straßen Richtung Virchow-Klinik. In der Bereitschaft war
eine lange Schlange von Leuten, die auf den Nachtarzt warteten, aber als sie
sahen, dass wir mit einem verletzten Kind kamen, winkten uns etliche von ihnen
nach vorn, zufrieden, ihre Schmerzen mit dem Wissen um ihre Großmut lindern zu
können. Der Arzt, der uns empfing, sah aus, als hätte er schon vor zehn Jahren
in Pension gehen sollen. Er trug einen tolstoischen Bart und zog die rechte
Schulter auf eine Art hoch, die darauf schließen ließ, dass er unter Rheuma
litt. Er untersuchte Anders ruppig, kräuselte die Stirn, als er die Blutergüsse
um dessen Wirbelsäule herum sah, und richtete ihm mit geübten Daumen die Nase.
Auf seinen gemurmelten Vorschlag hin schob ich ihm etwas Geld zu, und er gab
dem Jungen eine Morphiumspritze.
    »Wer hat
ihn so zugerichtet?«, fragte er, während der Junge sich wieder anzog.
    Sonja und ich tauschten einen langen Blick. »Er ist die
Treppe hinuntergefallen«, sagte sie schließlich. Der alte Mann nickte und half
Anders mit den Schuhen. »Wenn das noch einmal passiert«, flüsterte er ihm zu,
wenn auch nicht besonders leise, »solltest du irgendwo hinziehen, wo es keine
Stufen gibt.«
    Eilig
verließen wir das Krankenhaus, gingen die langen, zugigen Flure entlang und
drückten uns gegen die Wand, wenn uns eine Schwester mit einer Krankenbahre
entgegenkam. Vor der Tür bestach ich einen Krankenwagenfahrer, dass er uns
zurück zur Villa des Colonels brachte. Er steckte das Geld ein, und wir
quetschten uns neben ihm in die Fahrerkabine.
    »In den
Grunewald«, sagte er gereizt, das Gesicht nahe am Armaturenbrett, damit er
durch die Ecke der Windschutzscheibe sehen konnte, die er freigekratzt hatte.
»Das ist verdammt weit.«
    »Fahren
Sie schon los, mein Freund«, sagte ich und hatte den Kopf voll mit anderen
Dingen.
     
    Ich beobachtete sie, während wir
da vorne im Krankenwagen saßen, den Jungen und die Frau. Sie wirkten verstört
und drängten sich schweigend aneinander. In ihren Augen lag der Ausdruck
völligen Unverständnisses. Sie fühlten sich verraten, während ich selbst etwas
ganz anderes im Herzen trug:

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