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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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Moment, in
dem Lew in seinen Taschen nach einem Stück Kautabak suchte, oder als ihm die
Hausfrau in ihrer Verwirrung eine Tasse Ersatzkaffee anbot. Sie entzieht sich
mir jedoch, die genaue Natur ihrer Kommunikation. Egal, wie oft ich es
versuchte, ich habe sie nicht aufs Papier bannen können, und so klafft ein Loch
im Zentrum meiner Geschichte. Es ist nicht das Einzige.
     
    Nachdem er seinen Traum verraten
hatte, beruhigte sich Haldemann ausreichend, um bei der Auswahl der Papiere zu
helfen. Pavel füllte die Aktentasche, half dem alten Mann durch die halbhohe
Tür und gab ihn in Lews Gewahrsam. Die Drahtfessel schnitt dem Professor in die
Handgelenke und drückte ihm das Blut ab, so dass seine Hände ganz grau und
leblos wirkten. Womöglich hat er Pavels flüchtigen Druck gar nicht gespürt,
mit dem er ihm Glück wünschen wollte. Ohne einen weiteren Blick auf die Brauns
brachte Lew die beiden hinaus ins Treppenhaus. Haldemann ging voran, der Russe
als Letzter, den Pistolenlauf in Pavels Rücken gedrückt. Kurzsichtig und nicht
in der Lage, sich am Geländer abzustützen, bewegte sich der Professor sehr langsam
und tastete mit den Füßen nach der jeweils nächsten Stufe. Einen Stock tiefer
blieb er stehen, um zu Atem zu kommen. Lew war nervös und knurrte ihn an,
weiterzugehen.
    »Ich hatte
wirklich gedacht, Sie würden etwas versuchen«, sagte er zu Pavel, während sie
ihren Abstieg fortsetzten. »Karpow sagt, Sie sind die Art Mann, die etwas
versucht. Er sagt, es steht in Ihrer Akte.«
    Pavel
schüttelte nur den Kopf.
    »Diese
geheimnisvolle Akte«, beklagte er sich. »Ich weiß nicht, wo Sie die herhaben,
aber da hat Ihnen jemand einen Bären aufgebunden.«
    Lew
grinste und spuckte Tabak auf den Boden.
    Auf dem Treppenabsatz des zweiten
Stocks übersah Pavel eine Stufe und stolperte. Er fiel gegen Haldemanns Rücken
und streckte die Arme vor, um den alten Mann vor einem Sturz zu bewahren, aber
seine blassen, feingliedrigen Hände verpassten Haldemanns Schultern und packten
stattdessen sein Kinn und seinen Hals.
    So brachte
man früher Hühner um.
    Hinterher
legte Pavel ihn sanft auf den Boden. Er wandte sich Lew zu, sein Ausdruck ruhig
und gefasst. Im Treppenhaus noch das knappe Echo seiner Tat. Der Georgier stand
mit großen Augen da und würgte an einem Stück Tabak.
     
    So steht es also: Der
Raketenwissenschaftler Professor Dr. Joseph Haldemann ist so tot, wie man nur
tot sein kann. Meine ganze Geschichte handelte letztlich von ihm, und kaum
betritt er die Bühne, stirbt er, mit gebrochenem Genick, den Geschmack der
eingebildeten Schnecken noch auf dem Gaumen. Er hatte keine Ahnung von Fosko,
Söldmann und all den anderen, hatte seine Tage in Unwissenheit verbracht,
versteckt bei den Brauns, seinen angeheirateten proletarischen Verwandten.
Immer wenn jemand an der Tür klingelte, verschwand er in seinem Versteck hinter
dem Sofa. Oh, er hatte sie gehört, die Geschichten von Wissenschaftlern, die
von den Russen einkassiert und nach Osten verschleppt wurden, um Josephs
Namensvetter bei der Stärkung des »Sozialismus in einem Land« zu dienen. Die
letzten zwei Jahre waren nicht leicht gewesen für den guten Professor. Erst
fiel das Reich auseinander und machte Haldemanns Hoffnungen zunichte, das
Geheimnis des Atoms zu entschlüsseln, dann stellte sich heraus, dass er
angesichts seiner herausragenden Dienste für die Heimat von gestern wenig
Hoffnung auf eine Entnazifizierung hatte und ihm als potenziellem Kriegsverbrecher
nur eine Lebensmittelkarte der Kategorie V zustand, er also hungern musste.
Aber wenigstens befand er sich in der westlichen Hälfte der Stadt und war
dadurch, so dachte er zumindest, sicher vor den Bolschewiken und ihrem
unersättlichen Hunger nach deutschen Wissenschaftlern.
    Sobald er
hörte, dass die Sowjets eine Liste bevorzugter Zielpersonen angelegt hatten
und von keinerlei Skrupeln geplagt wurden, auch in die Sektoren anderer
Alliierter einzudringen, um dort kaum getarnte Entführungen vorzunehmen,
tauchte er unter. Cousin Manfred hatte ein Geheimzimmer. Während des Reichs
hatte dort kurzzeitig ein Neffe Unterschlupf gefunden, der Zeuge Jehovas war,
das aber nicht für einen Grund hielt, mit Juden und Schwulen die Drangsale des
Lagerlebens zu teilen. Haldemann hatte davon gewusst, aber seinen Mund
gehalten, und jetzt bat er selbst um Unterschlupf. Manfred Braun war nicht
gerade erfreut darüber. Er mochte den Professor nicht sonderlich und war auch
von der Aussicht nicht erbaut,

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