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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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dennoch kein Risiko
ein. Er packte den alten Mann und drückte ihn gegen die Wand, fesselte ihm die
Arme mit einem Stück Draht und steckte ihm zwei Finger in den Mund, um nach
einer Zyankalikapsel zu suchen. Es war eine bestens durchgeführte, methodische
Verhaftung. Lew nahm dem Mann sogar die Brille, um ihm die Orientierung zu
erschweren. Pavel verfolgte das Geschehen durch die offene Tür. Er ging erst
hinein, als Lew sich, zufrieden mit seinem Werk, wieder aufrichtete. Seine
georgischen Wangen hatten etwas Farbe angenommen. Der Professor dagegen war
leichenblass.
    »Manfred!
Wilma!«, rief er an den beiden Männern vorbei, die seine Kammer füllten. »Wer
ist das? Sind das Russen?«
    »Der
Dunkle sagt, er ist Amerikaner. Aber er kann Deutsch.«
    Ein
Hoffnungsschimmer glomm in den kurzsichtigen Augen des Professors auf. Lew zog
ihn am Arm in die Höhe, ließ ihn aber zurück auf die Liege fallen, als er sah,
dass Pavel dazwischengehen wollte. Die Pistole hob sich und drückte Pavel in
das Weiche seines Halses.
    »Ganz
ruhig.«
    »Ich will
nur, dass er seine Papiere einsammelt.«
    Pavel
deutete auf die Blätterstapel überall auf dem Tisch und dem Boden, allesamt
voller Gleichungen und Notizen in derselben akribischen Handschrift. »Karpow
wird sie wollen.«
    Lew
überlegte. »Sie sammeln sie ein. Haldemann wird Ihnen sagen, welche.«
    Pavel
bückte sich, um dem Befehl nachzukommen, aber es war kaum Platz, um sich zu
bewegen. Widerstrebend zog sich Lew in die Tür zurück, hockte sich auf die
Schwelle und verfolgte genau jede ihrer Bewegungen. Die Brauns standen hinter
ihm und hielten sich bei den Händen. Tief gebückt, um die Blätter aufzuheben,
konnte Pavel nur ihre Beine und Hände sehen, die sich in Verbundenheit gefasst
hielten. Neben ihm auf dem Bett lag der Professor und begann leise zu
schluchzen.
    »Sie müssen
mir sagen, welche von den Papieren die wichtigsten sind, Professor. Wir können
nicht alles mitnehmen.« Pavel entdeckte eine lederne Aktentasche und öffnete
sie. »Was ist mit der Mappe hier. Werden Sie die brauchen?«
    »Was
werden Sie mit mir machen?«
    »Sie sind ein berühmter Mann,
Professor. Diese Leute«, er zeigte auf Lew, »die wollen sich nur mit Ihnen
unterhalten.«
    »Ist er Russe?«
    »Ja, das ist er.«
    »Oh Gott.«
    Haldemann
verlor die Fassung. Er brach in ein lautes Schluchzen aus, das den ganzen
Körper erzittern ließ, bis ihm Pavel eine Hand auf die Wange legte und ihn wie
ein kleines Mädchen tröstete. Abgehackt, zwischen seinen Schluchzern, erzählte
ihm der Mann seinen bescheidenen kleinen Traum. Es klang wie einstudiert.
Alles, was er sich je gewünscht habe, erklärte er Pavel, sei ein kleines
Häuschen am Meer gewesen. An der Ostsee, wenn er es sich aussuchen könne, aber
letztlich sei jedes Meer richtig. Er liebe den Geruch, das Salz, den Sand, das
alles erinnere ihn an seine Kindheit. Und in diesem Häuschen wolle er sich ganz
der Zucht von Schnecken hingeben. Pavel glaubte erst, ihn nicht richtig
verstanden zu haben, das Wort zu verwechseln oder sich verhört zu haben.
Endlich dämmerte es ihm.
    »Zum
Essen, meinen Sie?«, fragte er ihn und strich dabei immer noch über Haldemanns
Hand.
    »Ja, ja«,
nickte der Mann. »Zum Essen.« Er machte dabei die Bewegung nach, wie er mit
einer Gabel in ein Schneckenhaus fuhr und den Inhalt aß. Er weinte nicht mehr,
aber auf seinen Wangen befand sich noch das Salz der Tränen.
    »Professor«,
erklärte Pavel ihm höflich, »Sie müssen mir sagen, welche Papiere ich
einpacken soll.«
    Hinter
ihnen in der Tür bellte Lew, sie sollten sich verdammt noch mal beeilen.
     
    Es muss dort in der Kammer einen
kurzen Augenblick gegeben haben, um eine Frage an Lews Aufmerksamkeit
vorbeizuschmuggeln. Mehr als einen kurzen Moment brauchte Pavel nicht. Bestimmt
wollte er wissen, wie viel Haldemann wirklich wert war. Mir selbst hat diese
Frage gut zwanzig Jahre lang den Schlaf geraubt. Er wird ihn also danach
gefragt haben. Ganz sicher hat er es getan. Nach der deutschen Bombe. Wie nahe
sie herangekommen seien, Haldemann und seine Kollegen in ihrem unterirdischen
Labor. Vielleicht war es weniger eine Frage als ein Austausch von Blicken,
während Pavel dem Professor die Tränen trocknete: eine Berührung, eine Geste,
ein Verziehen des Mundes. Genug, um eine Frage und eine Antwort zu formulieren,
und vielleicht etwas mehr: eine Übereinkunft zu ihrer beider Zukunft.
    Ich weiß,
es muss da in der braunschen Kammer geschehen sein, in dem halben

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