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Wach (German Edition)

Wach (German Edition)

Titel: Wach (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albrecht Selge
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Ach , erinnert sich August, hört die beiden Mädchen das Wörtchen flüstern, wieder und wieder, als wollten sie es wiegen. Es verträgt sich nicht mit der schweren Luft im Schandfleck, mit Zigarettenqualm und Stimmengewirr, die August in sich eindringen spürt. An seinem Tisch quetscht sich der Stammgast vorbei, ein ausgemergelter Alter mit Schlapphut und hängendem Auge, im Gefolge sein auf drei Beinen hinkender Hund. August sieht ihnen nach, der Hund schlängelt sich geschickt um die Bierpfützen, die sein Herr in schweren Stiefeln achtlos durchwatet hat. Hier Nix Latte macchiato , steht an die Wand geschrieben, auf den Tischen liegen Flugzettel, die Stimmen der Gäste gehen durcheinander, sie haben den Raum für sich, an sechs Tagen läuft hier krachende Musik, bis Mittwochmitternacht, am siebten Tag, dem Stillen Donnerstag, bleibt die Anlage aus. August tastet in der Innentasche seines Jacketts nach der Krawatte, die er versteckt hat, zwei Hemdknöpfe sind geöffnet, so fällt er weniger auf; seine Schuhe sind staubig, er ist nach der Arbeit stundenlang herumgelaufen, bevor der Regenguss kam und er, fast zu Hause, hier gelandet ist. Der Schandfleck hat sich im verfallenen Haus eingenistet, hinter Bröckelputz und dichtem Efeu: die letzte Bruchbude in der frisch herausgeputzten Straße, eine rissige Elefantenhaut in einer langen Reihe von pastellfarbenen Fassaden. Susanne hasst den Schandfleck, selbst der Efeu ist hier schäbig und halb tot, hat sie einmal gesagt, achte auf seine kranke Farbe, vielleicht ist er vergiftet vom Ost- oder Vorkriegsputz, in dem er noch wurzelt, oder vom Qualm, der rausdringt, und drin erst mal, das Pack, die Köter, wie kannst du nur. Susanne hat eine Abneigung gegen alles, was übrig geblieben und nicht erneuert ist; du denn etwa nicht, hat sie ihn einmal gefragt, hast du lieber Parkett in der Wohnung oder Ratten? Parkett. August hat gehofft, er würde sich wohlfühlen im Schandfleck, wo Zeit und Luft stillstehen. Aber jetzt findet er, hier zu sein ist nur verlockend, solang man nicht hier ist, der Stillstand ist bloß stickig, er fühlt sich bedrängt von Gerede und Rauch. Er würde gern was mit sich machen, sich schwerelos vielleicht, oder wenigstens den Kopf leer; da plötzlich eine Erinnerung

    an eine Reise im vergangenen Winter: statt Rauch Schwaden von nächtlichem Nebel, dunkelweiße Wiesen, ins Schwarze abfallend, Landschaft unter Schnee, gegen alle Geräusche gepolstert, erleuchtete Fenster wie im Raum schwebende Vierecke. Im Gasthaus angekommen, zogen die Eltern sich auf ihre Zimmer zurück. August und seine Schwester gingen in die Stube, wo nur noch wenige Leute saßen, ein Fenster stand schon offen, Winternebel und Tabakrauch hingen in der Luft, ohne sich zu vermischen, der Rauch auf dem Nebel wie Öl auf Wasser. Der Wirt, Schnurrbart und Fransen im Nacken, brachte ihnen zwei Gläser Bier und ein drittes für sich und setzte sich zu ihnen. Er sei gern, hatte seine Frau morgens beim Frühstück erzählt, etwas zu gern, hatte mitgeklungen, sein eigener Gast. Natürlich, legte er gleich los, kenne er die Tante, die heute neunzig werde, oder gestern neunzig geworden sei, müsse man ja jetzt schon sagen, wie er alle hier kenne, das Dorf sei nicht groß, der Odenwald sei insgesamt nicht groß, nicht so groß wie die Stadt jedenfalls, zumindest was die Zahl der Menschen angehe, denn in der Stadt seien die Menschen zwar dichter beieinander als auf dem Land, aber gleichzeitig weiter voneinander weg. Sie sprachen über Familienfeiern, über Festlichkeiten und Trauerfälle; Feiern und Trauern sind wie Yin und Yang oder das Plus und Minus einer Batterie, sagte der Wirt und fuhr mit der Handfläche übers Bierglas, und alles hängt mit der Zeit zusammen. Ich hatte einen Schulfreund, der war auch so ein Fall, der mit der Zeit zusammenhing. Hier im Odenwald sind die Straßen nachts kohlrabenschwarz, und mein Schulfreund ist gegen einen Baum gefahren. Das Auto war eine einzige Sauerei, man konnte ihn mit letzter Mühe rausschälen, aber niemand gab ihm den Hauch einer Chance, ins Krankenhaus brachten sie ihn nur, weil man das eben so macht. Und was keiner erwartete: Die Ärzte haben ihm das Leben gerettet. Er hat sich erholt und alles wieder neu gelernt, laufen, sprechen, schließlich hat er sogar wieder angefangen zu schreinern, was, das stellt ihr aus der Stadt euch nicht vor, keine einfache Arbeit ist. Das heißt, so ganz der Alte ist er eben doch nicht wieder geworden, er hat sich

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