2938 - Versteck dich, wenn du kannst!
Mariusz Thomson schraubte den Schalldämpfer vom Lauf seiner Ceska CZ 75 ab und verschwendete keinen Blick mehr an den Toten, der vor ihm am Boden lag. Er wusste nicht, wer der Mann war und weshalb er sterben musste, aber er kannte seinen Auftrag. Er sah zum Schreibtisch an der gegenüberliegenden Wand hinüber.
Mit wenigen Schritten war er dort. Ein aufgeklapptes Notebook packte er genauso ein wie einen danebenliegenden USB-Stick und das Geld aus der Brieftasche, die er auf dem Nachttisch fand.
Anschließend öffnete er die Schubladen der kleinen Kommode sowie die Türen des Kleiderschranks, durchwühlte den Koffer und ging schließlich ins angrenzende Badezimmer, um den Kulturbeutel ins Waschbecken auszukippen.
Mit einem schnellen Rundblick vergewisserte er sich, nichts vergessen zu haben. Gerade, als er den Raum verlassen wollte, hörte er ein Geräusch. Wie festgewurzelt blieb der Mann stehen und lauschte. Alles war jetzt wieder ruhig, lediglich nebenan klappte eine Tür.
Aufatmend wollte er endgültig verschwinden, als die Außenbeleuchtung des angrenzenden Hotelzimmers ansprang. Ein Schimmer fiel dabei auch auf den Balkon vor ihm, und das, was der Killer hinter der Glastür sah, ließ ihn lautlos fluchen.
Mit wenigen, schnellen Schritten war er an der Tür. Erst jetzt bemerkte er, dass sie nicht ganz geschlossen war. Mit einer kräftigen Handbewegung schob er das schwere Glas zurück. Vor ihm, auf dem Boden des Balkons, lagen ein Feuerzeug und eine nicht angerauchte Zigarette. In diesem Moment wusste Mariusz, dass es für den Mord an Paul Clarke einen Zeugen gab.
***
Als ihr Vater vor ihren Augen einen so sinnlosen Tod starb, presste Michelle vor Entsetzen eine Hand auf den Mund. Sie schrie innerlich, wobei kein Laut über ihre Lippen kam. Der Mann mit der Waffe hob den Kopf und schien direkt in ihre Richtung zu blicken. Konnte er sie sehen?
Die Nacht war an diesem Herbsttag früh hereingebrochen, es war dunkel auf dem Balkon, auch das Gelände des Hotels war noch nicht beleuchtet. Obwohl alles in ihr danach schrie, einfach davonzulaufen, stand sie ganz still, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Michelle wusste: Wenn er sie sah, würde sie so sterben wie wenige Augenblicke zuvor ihr Vater. Sie hatte bloß keine Ahnung, wie sie dem Killer entkommen sollte.
Als Michelle den Mann im Zimmer ein Stück aus ihrem Blickfeld heraus zum Schreibtisch gehen sah, überlegte sie nicht lange. Sie schwang ihre Beine über das Geländer und duckte sich dahinter. Lediglich ihre Fußspitzen fanden am Rand noch Halt, und während sich ihre Finger in den metallenen Handlauf krallten, musste sie entscheiden, ob sie sich in dieser waghalsigen Position seitwärts auf eines der Nebenzimmer zubewegen sollte oder ob sie in den Garten hinunterspringen musste.
Michelle blickte nach unten. Das Hotel war ein lediglich zweistöckiger Bau inmitten einer kleinen Grünanlage. Unter ihr erstreckte sich eine gepflegte Rasenfläche mit Blumenrabatten. Was, wenn sie sich beim Sprung den Knöchel brach? In ihrem Kopf rauschte es, sie spürte, wie die Gefahr Adrenalin durch ihren Körper jagte. Die Zehen ihres rechten Fußes krallten sich instinktiv zusammen, als sie merkte, dass sie den Halt verlor.
Sie rutschte ab, fing sich gleich wieder, wobei ihr der kalte Schweiß ausbrach. Der Kerl stand nun mitten im Raum, er schien durch etwas alarmiert. Er musste sie gehört haben. Michelle wollte nicht sterben, nicht jetzt, nicht hier und nicht so. Sie hatte keine andere Chance. Sie sprang.
Michelle kam überraschend weich auf dem Rasen auf, dennoch schoss ein scharfer, beißender Schmerz durch ihren rechten Knöchel. Sie ließ sich fallen, rollte über die linke Schulter ab und hechtete anschließend so gut es mit dem schmerzenden Fuß ging hinter einen Rhododendronstrauch.
Mit rasendem Herzen blickte sie nach oben, wo im ersten Stock jetzt eine Tür aufschwang, jemand auf den Balkon hinaustrat, sich dort kurz nach etwas auf dem Boden bückte und danach suchend in den Garten hinunterblickte.
Sie konnte die Anspannung spüren, unter der der Mann sich befand. Sie musste hier weg, bevor er sie fand und erledigte. Die Gestalt verschwand, das Licht im Zimmer erlosch. Michelle spürte eine bisher nicht gekannte Angst, die sie einige Sekunden lang zu lähmen drohte. Dann schaltete sich ihr Verstand ein. Der Killer musste erst einmal zu ihr herunterkommen. Sie hatte einen Vorsprung, den es zu nutzen galt. Mit dieser Erkenntnis schaffte sie es, sich
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