Wächterin der Träume
Stirn, doch bevor ich etwas sagen konnte, ließ sie mich los und schenkte mir noch ein tränenreiches Lächeln. Dann ging sie zu Noah und ließ mich mit meinem Vater allein.
Ich blickte zu Padera hinüber. »Willst du sie immer noch in Einzelhaft stecken?«
»Ja, für eine Weile.«
Ich sah ihn scharf an. »Du wirst ihr helfen, nicht wahr?«
Er nickte. »Ja. Tut mir leid, wenn dich das kränkt.«
Seltsamerweise tat es das nicht. »Du bist für sie verantwortlich, also musst du ihr auch helfen.«
Morpheus lächelte. »Du warst schon immer ziemlich rechthaberisch.«
Ich musste lächeln. »Morpheus … Dad …« Ich konnte meinen Satz nicht zu Ende bringen, denn unvermittelt nahm er mich in die Arme und drückte mich, dass mir die Luft wegblieb. Wahrscheinlich gab es zwischen uns auch nichts mehr zu sagen.
Als er mich schließlich losließ und ich wieder zu Atem gekommen war, fragte ich: »Kann ich einen Augenblick mit ihr reden?«
Seine Stirn kräuselte sich ein wenig, doch dann nickte er. »Aber nur kurz.«
Noah blickte mich fragend an, weil ich nicht zu ihm kam, worauf ich ihn mit erhobener Hand bat, noch ein wenig zu warten. Ich wollte ihm später alles erklären.
Ganz allein saß meine Schwester da. Nicht einmal die Nachtmahre, die ihr unterstellt gewesen waren, standen ihr bei. Nur einige von den Wachen meines Vaters hielten sich in der Nähe auf, bereit, sie auf Morpheus’ Befehl hin abzuführen. Ihre Wunden waren ebenfalls verheilt, doch ich konnte mir denken, dass sich ihre Brust anfühlte, als hätte ein Pferd sie getreten. Und so würde es wohl noch für eine ganze Weile bleiben.
Ich kniete mich vor sie hin. »Kennst du unsere anderen Geschwister?«
Sie blickte mich argwöhnisch an, doch der Hass war aus ihren Augen verschwunden. Es war wirklich, als hätte unser Vater bei ihr auf »Reset« gedrückt. »Ja«, sagte sie.
»Wie viele sind es denn?«
Sie lachte – offen und ehrlich. »Fünfzig, soviel ich weiß.«
Fünfzig? Ach du Schande. Für jemanden, den es schon ewig gab, war das vermutlich nicht einmal sehr viel.
Ich wollte meine Geschwister in dieser Welt genauso kennenlernen wie diejenigen in der Menschenwelt. Die Verbindung zur Familie zu halten war immer gut. Entweder, damit deine Verwandten dir Rückendeckung geben – oder dich daran erinnern konnten, dass es besser war, ihnen nicht den Rücken zuzukehren.
»Wirst du mich einmal zu ihnen bringen?«, fragte ich.
Sie betrachtete mich mit undurchdringlicher Miene. Vermutlich traute sie mir ebenso wenig über den Weg wie ich ihr, doch wir waren nun einmal Schwestern, und Blut war dicker als Wasser.
»Ja«, antwortete sie schließlich, während die Wachen ihr beim Aufstehen halfen. Wahrscheinlich war Morpheus der Meinung, wir hätten jetzt lange genug geredet.
Ich erhob mich ebenfalls. Als man sie fortbrachte, blickten wir uns unverwandt an, bis sie den Raum verlassen hatte. Dann ging ich zu Noah und schmiegte mich in seine Arme.
»Die Entscheidung ist gefallen!« Gladios’ dröhnende Stimme erfüllte die Halle. »Dawn Riley ist die neue Oberste Wächterin der Nachtmahre.«
Es gab ein paar Jubelrufe, ein wenig höflichen Beifall und einige böse Blicke. An Noahs Seite stehend nahm ich alles mit unbewegter Miene auf. Jetzt war ich die Oberste Wächterin – und hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Ich besaß Macht, wusste aber nicht, wie viel. Und man erwartete von mir, dass ich andere führte.
Aber ich besaß auch Feinde. Wie lange würde es dauern, bis einer von ihnen versuchen würde, mich aus meiner Stellung zu verdrängen? Wenn ich mein Amt behalten und meinem Vater helfen wollte, auf dem Thron zu bleiben, musste ich dazulernen, und zwar so schnell wie möglich.
»Gelobt sei Ama«, ertönte eine Stimme hinter mir. Ich hatte kaum Zeit, mich umzublicken, da fasste mich Hadria auch schon bei den Schultern, zog mich mühelos von Noahs Seite und drehte mich so, dass ich ihr den Rücken zuwandte. Dann schnappte sie überrascht nach Luft.
»Was ist?«, fragte ich, und wieder einmal brannte es in meinem Nacken. Vielleicht von einem Insektenstich?
Die hochgewachsene Priesterin drehte mich wieder zu sich herum, umfasste mein Gesicht mit ihren langen Fingern und küsste mich auf beide Wangen. »Glückwunsch, Dawn«, sagte sie. »Du hast das Mal empfangen.«
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Kapitel zwanzig
J etzt bin ich also die Oberste Wächterin.
Was das genau heißt? Na ja, ich bin nicht ganz sicher, aber ich weiß, dass viel Macht und
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