Während ich schlief
gebrechlichen Arme umschlangen mich. »Schsch. Ist ja gut.« Er küsste mich so zärtlich auf die Stirn wie ich ihn damals, als er kaum mehr als ein Baby war.
Ich entzog mich ihm und sah ihm in die Augen. »Xavier, du hast von Anfang an alles in deiner Macht Stehende getan, um mir zu zeigen, dass du mich immer noch liebst. Mein Atelier, mein Stundenplan, Wüstenwind.« Ich lächelte. »Das Prisma. Und es war deine Hand, die mich gestreichelt hat, hier in diesem Zimmer, nachdem ich angegriffen worden war.«
Ich sah ihm an, dass ich recht hatte.
»Ich weiß, dass du bei mir sein möchtest. Du willst meine Familie sein. Das Einzige, was dich daran hindert, ist die Meinung der anderen, die das für falsch halten könnten. Verseng sie, sag ich! Sie wissen nicht, was wir einander bedeuten. Dich schreckt wahrscheinlich der Gedanke ab, dass wir einmal ein Paar waren – gut, es hätte mich auch abgeschreckt, wenn du plötzlich wieder zum Kleinkind geworden wärst, als ich sechzehn war. Aber das ist vorbei. Dieses Mädchen gibt es nicht mehr. Ich bin jetzt hier.« Ich blickte kurz zu Boden und sammelte die Kraft der Dornenrosen in mir. »Willst du mir wirklich die einzige Liebe versagen, die ich je gekannt habe?«
Xavier sah mich lange an, dann runzelte er auf einmal die Stirn. »Du und Bren, seid ihr ...?«
Ich lachte, was den Drang zu weinen endgültig stoppte. Wenn ich nicht schon so rot von den Verbrennungen gewesen wäre, wäre ich puterrot geworden. »Warum fragst du?«
Xavier wich meinem Blick aus, und ich erkannte, dass er befürchtete, ich könnte etwas Unmögliches von ihm erwarten;
dass ich nicht bereit wäre, mich in diesem Punkt ohne ihn weiterzuentwickeln. »Ich weiß es nicht«, sagte ich so beschwichtigend wie möglich. »Vielleicht eines Tages. Im Moment mache ich ihm noch zu viel Angst.«
»Na, mir machst du auch Angst«, sagte Xavier. »Ich habe dich nie anders als passiv erlebt.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Hat mir nicht viel genützt. Also, bekomme ich dich jetzt als Familie, oder muss ich meinen Vorstand dazu bringen, dich zu feuern?«
Xavier lachte.
»Ich meine es ernst«, sagte ich. »Jetzt, da ich dich wiedergefunden habe, werde ich dich nicht mehr loslassen.«
Er zwinkerte mir zu. »Ich dachte, das wäre mein Text.«
Ich musste grinsen. »Du meinst, ich kann dich behalten?«
Er seufzte. »Warum nicht? Du hast mich doch sowieso schon.«
Ich sprang auf und umarmte ihn. Er roch nach altem Mann und dem Aftershave, das mir in seinem Büro aufgefallen war, und er fühlte sich nicht mehr an wie mein Xavier. Aber ich liebte ihn wie eh und je. Bruder. Bester Freund. Großvater. Kam es darauf an? Er war mein Xavier.
I ch will an meinen Zukunftsträumen festhalten, solange ich kann. Ich bin darüber hinaus, immer nur abzuwarten, mich an Fantasien zu klammern, zu leugnen, was ich fühle und was ich sehe. Ich versuche, möglichst aktiv zu bleiben, offen für alles zu sein und nicht in Verzweiflung zu versinken, wenn ich mitten in der Nacht weinend aufwache.
Oft gehe ich zum Abendessen hinüber zu Bren, und Bren bemüht sich so gutmütig wie vergeblich, mir Tennis beizubringen. Über meine Gefühle für ihn bin ich mir nach wie vor nicht im Klaren. Er ist mein Freund, ein toller, sexy Freund, der mein Enkel sein könnte. Ziemlich verwirrend das Ganze, manchmal peinlich, aber trotzdem gut. Wir mögen uns, sind beinahe so etwas wie Verwandte, aber auch wieder nicht. Das genügt fürs Erste.
Jeden Abend verbinde ich mich mit Otto, und wir suchen gemeinsam nach neuen Gründen zum Lachen. Was ich für ihn empfinde, ist mir ebenfalls nicht klar. Ich weiß allerdings, was er für mich empfindet, obwohl er es ganz gut zu verbergen glaubt. Ich fühle mit ihm und liebe ihn, aber auf welche Weise, das will ich im Moment gar nicht herausfinden. Was wir haben, ist, was es ist, und mehr will ich nicht. Vorläufig.
Was Xavier angeht, so benimmt er sich sehr förmlich mir gegenüber, und das nehme ich ihm nicht übel. Es ist eine ziemlich verstörende Situation, die ich ihm da aufgezwungen habe. Er nimmt mich zuweilen in den Arm (aber nur in einen), wenn
es nötig erscheint, zum Beispiel, wenn ich weine. Ansonsten fasst er mich nicht an. Ich respektiere es, dass er auf Distanz bleibt. Er bringt mir das Kochen bei und setzt sich immer noch mit mir hin, um mir bei den Schularbeiten zu helfen. Dieser Teil unserer Beziehung hat sich in sechzig Jahren nicht verändert. Meine Noten werden allmählich besser.
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