Wahn
Parkinsonpatienten auftritt, kann umgekehrt zu einer Lustarmut, Depression und Antriebslosigkeit führen.
Eine der Möglichkeiten, die Parkinsonsche Erkrankung zu behandeln, besteht darin, das fehlende Dopamin durch eine künstlich hergestellte Vorstufe, dem L-Dopa, zu ersetzen. Dieses L-Dopa wird dem Patienten in Tablettenform zugeführt. Durch diese Behandlung wird die Beweglichkeit ebenso wie das seelische Wohlbefinden des Patienten verbessert. Es kann allerdings, ähnlich wie bei einer Sucht, vorkommen, dass der Patient das Verlangen hat, die L-Dopa-Dosis stetig zu steigern, was zu unerwünschten Nebeneffekten führt, zu psychotischen Zuständen mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Es werden Dinge gesehen, die in der Realität nicht vorhanden sind, und es können Situationen wahnhaft falsch gedeutet werden. Ferner wird das motorische System überstimuliert und statt der eingefrorenen Körperhaltung entsteht ein Zappeln und ein unnatürlicher Bewegungsdrang.
Wie ich später erfuhr, war Eberhard Sommerfeld vor Ausbruch seiner Erkrankung ein begeisterter Freizeitfußballer gewesen und hatte sich jeden Dienstag mit einer Hobbytruppe in der Turnhalle der Gesamtschule an wahren Fußballschlachten beteiligt. Mit der Zeit bemerkte er, dass seine Beine nicht mehr so flink waren und er nicht mehr so geschmeidig dribbeln konnte. »Sie sind wie Holz, wie zwei verdammte Stelzen!«, hatte er häufig gerufen. Später wurde seine Stimme monotoner, die Schrift kleiner und er konnte nur noch mit kleinen tapsenden Schritten gehen. Von seinem Hausarzt wurde er in eine Spezialklinik eingewiesen. Der alte Chefarzt erklärte ihm dann zum ersten Mal seine Krankheit und machte ihm Mut. »Wir können das Dopamin, das Ihnen fehlt, mit Medikamenten ersetzen«, hatte er damals gesagt. »Wenn Sie das regelmäßig nehmen, werden Sie wieder fit.«
Wie es dann weitergegangen war, konnte ich den Akten nicht mehr entnehmen. Ich vermutete, dass die nachfolgende Behandlung mit zu hohen Dosen von Anti-Parkinson-Medikamenten erfolgt war. Einerseits wurde dadurch zwar die Beweglichkeit wieder hergestellt, andererseits hatte die Behandlung jedoch eine zunehmende Euphorisierung zur Folge und machte den Patienten süchtig.
Um die positive Wirkung der Medikamente zu verstärken, steigerte Herr Sommerfeld selbstständig deren Dosis. Bei Versuchen, die Dosis zu reduzieren, fiel er jedes Mal psychisch in ein tiefes Loch.
Ich betrat das Zimmer, in dem Herr Sommerfeld untergebracht war, eine Kombination aus Krankenhauszimmer und Gefängniszelle. Der Raum war durch eine schwere Metalltür gesichert. Er war möbliert mit einem konventionellen Krankenbett und einem weißen Nachttisch, wie er in Krankenhäusern üblich war. Durch das vergitterte Fenster schaute man in die Krone einer großen Platane.
Der Patient blickte in nervösem Rhythmus von einer Ecke zur anderen. Sein Gesicht zuckte und verkrampfte sich fortwährend, während beide Arme teils ausfahrende, teils schraubende Bewegungen vollführten. Dabei redete er ständig leise und monoton vor sich hin. Zu verstehen war lediglich der immerfort wiederholte Satz: »Ihr werdet schon sehen, jetzt ist Schluss.«
»Sind Sie der Neurologe?«, fragte er plötzlich und schaute mich mit wachen Augen an. »Die wollen mir meine Medikamente wegnehmen. Das sind brutale Amateure. Sie müssen mir helfen.«
Wir setzten uns an den kleinen Tisch neben dem Bett.
»Sie wissen, warum Sie hier sind?«, fragte ich.
»Natürlich. Ich habe die Zentrale der Mafia gestürmt und deren Boss festgesetzt. Das ist nicht besonders beliebt bei unseren sogenannten Staatsanwälten und Richtern.« Er schaute mich verschwörerisch an. »Das ist doch bekannt, die stecken alle unter einer Decke. Ein Anruf aus Moskau oder Palermo: ›Passt auf, Jungs, der Eberhard Sommerfeld ist eine Gefahr für unsere Organisationen. Er zerstört die Organisationen, weil er Insider ist. Insider, das wissen alle, machen unser System kaputt.‹« Er lachte hämisch auf. »Dann habe ich ein Problem, und zwar ziemlich bald. Ich will von Ihnen nur eines.« Er sah mich eindringlich an. »Sie setzen einfach meine Behandlung fort wie vor meiner Gefangennahme und geben mir ein Rezept, damit ich weiter wie ein normaler Mensch funktionieren kann.«
Sein Gesicht kam mir immer näher: »Seelenklempner, soll Ihr Schaden nicht sein. Wir teilen uns dann das Vermögen der russischen Mafia, ich bin nämlich der Einzige, der weiß, wo es versteckt ist.«
Ich
Weitere Kostenlose Bücher