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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Spitzen, und dann fährt er mit langen Bewegungen vom Scheitel meines Kopfes bis ganz nach unten. Unsere Blicke treffen sich im Spiegel, aber keiner von uns sagt ein Wort. Wir haben Angst, daß keins das Gewicht dessen tragen kann, was geschehen ist.
    »Willst du, daß ich mitkomme?« fragt er.
    Ich schüttele den Kopf, während er noch immer meine Haare in seiner Hand hält. »Mir wäre lieber, du kümmerst dich um Sophie.«
    Ich habe ihm gesagt, daß ich mit Eric sprechen muß. Ich habe nur nicht erwähnt, daß ich vorher noch woanders Zwischenstation mache.
    Während der Fahrt durchlebe ich noch einmal die letzte Nacht, die ich in Fitz' Armen verbracht habe. Ich würde alles gern einer falschen Erinnerung zuschreiben, aber ich weiß, daß es tatsächlich geschehen ist.
    Und ich kann es auch nicht auf Erics Rückfall schieben.
    Was ich getan habe, war ein Fehler, weil ich mit Eric verlobt bin. Aber was, wenn das der Fehler ist?
    Ich habe Fitz und Eric gleichzeitig kennengelernt. Wir drei sind seit vielen Jahren befreundet. Aber was wäre, wenn ich die Entwicklung meiner Beziehung zu den beiden ganz anders in Erinnerung habe, als sie tatsächlich war? Was, wenn die Dinge, die ich in meinem Gedächtnis gespeichert habe, irgendwie verfälscht wurden?
    Was, wenn es nicht falsch war, was letzte Nacht geschehen ist, sondern endlich vollkommen richtig?
    »Ich schwöre dir«, beteuert meine Mutter, »so etwas hätte Victor niemals getan.«
    Wir sitzen auf ihrer Veranda unter einem Luftbefeuchter, der vergeblich gegen die Gluthitze ankämpft. Kaum sprüht das Wasser aus den winzigen Düsen hervor, verdunstet es auch schon. Ich muß an die ersten Jahre meines Lebens denken, die verschwanden, noch ehe ich Gelegenheit hatte, sie wahrzunehmen.
    »Weißt du was?« sage ich müde. »Ich weiß wirklich nicht mehr, wem ich noch glauben soll.«
    »Wie wär's mit dir selbst?« Sie schüttelt den Kopf. »Hast du dir schon mal überlegt, daß du dich vielleicht deshalb nicht mehr erinnern kannst, weil es gar nicht passiert ist? Ich weiß, du tust dich schwer, mir zu glauben, Delia, aber dein Vater ... er war nicht hier. Du bist im Garten immer hinter Victor hergelaufen, du hast ihm bei seinen Pflanzen geholfen - du bist ihm gefolgt wie ein Hündchen. Das hättest du doch wohl kaum gemacht, wenn er dir so etwas angetan hätte, oder?« Sie seufzt. »Vielleicht hat dein Vater ja gar nichts gesehen, sondern es sich nur eingebildet. Vielleicht hast du mal was erzählt, worauf er sich keinen Reim machen konnte. Aber vielleicht war er auch bloß eifersüchtig, weil ein anderer Mann so viel Zeit mit dir verbringen konnte und er Angst hatte, du hättest einen Ersatz gefunden.«
    Im Grunde ist jeder ein Lügner. Erinnerungen sind wie ein Gemälde, das unzählige Menschen betrachtet haben: Es wird keine zwei Personen geben, die das Gemälde genau gleich beschreiben werden. Denn Erinnerungen liegen im Auge des Betrachters. Und wenn man wahllos zwei nebeneinander hält, stimmen sie niemals ganz überein.
    In diesem Moment möchte ich bei Sophie sein. Ich möchte, daß wir barfuß durch den roten Sand laufen. Ich möchte mit ihr kopfüber am Klettergerüst baumeln. Ich möchte ihre Witze hören, die keine Pointe haben. Ich möchte spüren, wie sie sich dicht neben mich stellt, wenn wir an eine Straßenkreuzung kommen. Ich möchte neue Erinnerungen erzeugen, statt nach alten zu suchen.
    »Ich muß nach Hause«, sage ich unvermittelt. Meine Mutter steht auf, aber ich sage ihr, daß sie mich nicht begleiten muß. Sie zögert einen Moment unsicher, und dann beugt sie sich vor, um mir einen Abschiedskuß auf die Wange zu geben. Wir berühren uns nicht ganz.
    Ich gehe durch das Seitentor und dann über den knirschenden Kiesweg zu meinem Wagen. Als ich gerade die Tür entriegelt habe, fährt ein Pick-up vor. Victor steigt aus, und wir starren einander an, spürbar beklommen. »Delia«, sagt er dann, »ich hab das nicht getan, was er behauptet.«
    Ich blicke ihn an, greife dann nach der Autotür.
    »Warte.« Er zieht seine Baseballmütze vom Kopf und hält sie mit beiden Händen fest. »Ich hätte dir doch nie weh getan«, sagt er beschwörend. »Elise konnte keine Kinder mehr bekommen - das wußte ich - und ich fand es schön, daß sie schon eins hatte. Ich weiß, du kannst dich nicht erinnern, aber ich kann es.«
    Er blickt mich mit seinen ernsten, dunklen Augen an. Sein Mund bebt, so sehr möchte er mich überzeugen. Ich versuche mir vorzustellen, wie

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