Wait for You: Roman (Wait for You-Serie) (German Edition)
Halloweenabend vor fünf Jahren wirklich geschehen war.
Doch hier spielte nichts davon eine Rolle. Niemand kannte mich. Niemand vermutete etwas. Und auch an Sommertagen, an denen ich kein langärmliges Shirt tragen konnte, wusste niemand, was unter dem breiten Silberarmband versteckt lag.
Es war meine Entscheidung gewesen hierherzukommen. Und es war genau das Richtige für mich.
Meine Eltern hatten damit gedroht, mir den Zugang zu meinem Treuhandfonds zu sperren. Das fand ich ziemlich lächerlich. Ich besaß mein eigenes Geld – Geld, über das die beiden ab dem Moment, in dem ich achtzehn geworden war, nicht mehr verfügen konnten. Geld, das ich verdient hatte. In ihren Augen hatte ich sie natürlich wieder einmal enttäuscht. Doch wäre ich in Texas und in der Nähe dieser Leute geblieben, wäre ich heute schon tot.
Ich warf einen kurzen Blick auf die Zeitanzeige meines Handys, dann stand ich auf und schwang mir meine Tasche über die Schulter. Zumindest würde ich nicht zu spät zu meinem Geschichtskurs kommen.
Geschichte wurde im Gebäude für Geisteswissenschaften unterrichtet, am Fuße des Hügels, den ich gerade erst im Laufschritt erklommen hatte. Ich wanderte über den Parkplatz hinter dem Byrd-Gebäude und überquerte die überfüllte Straße. Überall um mich herum bewegten sich Studenten in kleinen Gruppen. Viele kannten sich offensichtlich schon. Doch statt mich ausgeschlossen zu fühlen, empfand ich ein wunderbares Freiheitsgefühl, als ich zu meinem Kurs ging, ohne erkannt zu werden.
Ich verdrängte jeden Gedanken an mein morgendliches Totalversagen, betrat Whitehall und stieg die erste Treppe rechts nach oben. Die Flure im ersten Stock waren voller Studenten, die darauf warteten, dass die Türen der Unterrichtsräume sich öffneten. Ich schob mich zwischen lachenden Gruppen hindurch und wich Leuten aus, die offensichtlich noch nicht ganz wach waren. Dann entdeckte ich eine leere Stelle gegenüber von meinem Raum und setzte mich im Schneidersitz an die Wand. Aufgeregt rieb ich die Hände an den Jeans, weil ich bald schon in Geschichte sitzen würde. Die meisten Leute wären von einem Geschichtsgrundkurs zu Tode gelangweilt, aber für mich war es der erste Kurs in meinem Hauptfach.
Und wenn ich Glück hatte, konnte ich in fünf Jahren in einem stillen, kühlen Museum oder einer Bibliothek arbeiten und uralte Texte oder Artefakte katalogisieren. Nicht gerade der glamouröseste Job der Welt, aber für mich wäre er perfekt.
Besser als das, was ich früher immer werden wollte, nämlich professionelle Tänzerin in New York.
Noch etwas, worüber Mom enttäuscht sein konnte. All dieses Geld, das ab dem Zeitpunkt, ab dem ich laufen konnte, in Ballettstunden geflossen war, hatte sich nach meinem vierzehnten Geburtstag in eine totale Fehlinvestition verwandelt.
Allerdings vermisste ich die beruhigende Wirkung, die das Tanzen immer auf mich gehabt hatte. Doch ich konnte mich nicht dazu bringen, es jemals wieder zu tun.
»Mädel, wieso sitzt du da auf dem Boden?«
Ich riss den Kopf hoch, dann verzogen sich meine Lippen zu einem Lächeln, als ich das breite Grinsen auf Jacob Masseys karamellfarbenem, knabenhaft gut aussehendem Gesicht entdeckte. Wir hatten uns im Orientierungskurs für Erstsemester letzte Woche angefreundet, und wir besuchten den nächsten Kurs zusammen, genauso wie Kunst dienstags und donnerstags.
Ich sah mir die teuren Jeans an, die er trug, und erkannte den Designerschnitt. »Hier unten ist es sehr gemütlich. Du solltest dich zu mir setzen.«
»Zur Hölle, nein. Ich will mir doch meinen hübschen Hintern nicht beschmutzen, indem ich mich auf diesen Boden da setze.« Er lehnte sich mit der Hüfte an die Wand neben mir und grinste. »Warte mal. Was machst du überhaupt schon hier? Ich dachte, du hättest erst um neun einen Kurs.«
»Daran erinnerst du dich?« Wir hatten uns letzte Woche ungefähr eine halbe Sekunde lang über unsere Stundenpläne unterhalten.
Er zwinkerte mir zu. »Ich habe ein phantastisches Gedächtnis für vollkommen nutzlose Fakten.«
Ich lachte. »Gut zu wissen.«
»Also hast du geschwänzt? Du böses, böses Mädchen.«
Ich zuckte ein wenig zusammen und schüttelte den Kopf. »Na ja, ich kam zu spät und ich hasse es, nach Stundenbeginn in ein Klassenzimmer zu kommen. Also nehme ich an, dass meine erste Stunde am Mittwoch stattfindet, wenn ich den Kurs bis dahin nicht ganz schmeiße.«
»Schmeißen? Mädel, sei nicht dämlich. Astronomie ist ein
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