Walkueren
unten«, sagte Elín.
Dann legte sie auf.
Víkingur machte ein dummes Gesicht und suchte nach seinen Klamotten.
Þórhildur saß im Wohnzimmer und schaute fern.
»Ziehst du dich schon wieder an?«, rief sie. »Du wolltest doch mal ausschlafen.«
»Bin gleich zurück«, rief er und trat in Schuhen, aber ohne Socken, auf den Flur hinaus.
Als Víkingur die Haustür öffnete, war keine Menschenseele in Sicht. Entweder hatte Elín einen merkwürdigen Humor oder ein ernsthaftes psychisches Problem.
Draußen tobte ein Schneesturm. Der Laternenpfahl vor der Tür verschwand im dichten Nebel; die Laterne schien frei in der Luft zu schweben wie ein unbekanntes Flugobjekt. Víkingur entdeckte einige Meter von der Haustür entfernt im Schneegestöber ein Auto im Leerlauf.
Ein schwarzer PKW.
Er rannte zu dem Wagen, öffnete die Beifahrertür und stieg ein.
»Gut, dass du kommen konntest«, sagte Elín.
»Warum hast du ein Päckchen für mich?«
»Ich habe gar kein Päckchen, aber ich konnte meinen Namen nicht nennen, weil dein Telefon abgehört wird«, erklärte Elín. »Aus Sicherheitsgründen. Nicht immer. Nur manchmal. Wir haben Personalmangel.«
»Abgehört?«, entrüstete sich Víkingur. »Hast du schon mal was von der Unantastbarkeit der Privatsphäre gehört?«
»Jetzt benimm dich doch nicht so, als seist du gerade erst in die Stadt gezogen«, entgegnete sie. »Die Welt besteht aus Informationen, die von unterschiedlicher Bedeutung und unterschiedlich schwer zu beschaffen sind. Die Privatsphäre ist so ausgestorben wie die Staatskirche. Das haben nur noch nicht alle begriffen.«
Víkingur wusste nicht, was er dazu sagen sollte.
»Jetzt sei doch nicht gleich beleidigt«, bat sie. »Natürlich hört um diese Uhrzeit niemand dein Telefon ab. Aber man soll kein unnötiges Risiko eingehen, deshalb hab ich gesagt, ich hätte ein Päckchen für dich. Das hat ja ausgereicht. Du bist rausgekommen. Ziel erreicht.«
»Welches Ziel?«
»Hör zu, ich hab wirklich nicht geahnt, dass du einen solchen Wirbel darum machen würdest«, sagte sie. »Du warst mir bei unserem letzten Treffen so sympathisch, dass ich beschlossen habe, dir zu vertrauen.«
»Besten Dank.«
»Obwohl man natürlich niemandem trauen soll«, sagte Elín und lächelte.
»Ach ja?«
»Außer sich selbst«, fügte sie hinzu. »Aber ich werde wie gesagt eine Ausnahme machen.«
»Entschuldige«, sagte Víkingur. »Aber du verstehst hoffentlich, dass ich es etwas merkwürdig finde, dass du mich zu dieser Zeit auf diese Art und Weise aufsuchst.«
»Art und Weise?«
»Was soll dieses Versteckspiel?«
»Hör mal«, sagte Elín. »Ist deine Frau eifersüchtig?«
»Was spielt denn das für eine Rolle?«
»Du solltest noch mal kurz hochgehen und ihr sagen, dass du heute Nacht arbeiten musst. Ein Spezialeinsatz mit der Landespolizeichefin.«
»Ist das dein Ernst?«
»Ja, selbstverständlich. Und warte mal: Sprich in der Küche mit ihr und lass dabei den Wasserhahn laufen – wegen der Wanzen, du weißt schon!«
»Meine Wohnung ist verwanzt?«
»Nein, nein, das war nur ein Witz. Sorry. Ich weiß, das ist nicht lustig, aber so benehme ich mich manchmal, wenn ich nervös bin. Ich schwöre, deine Wohnung wird nicht abgehört. Nur das Telefon. Manchmal. Ha! Bitte tu mir den Gefallen, geh kurz rauf und beeil dich.«
»Und was soll ich ihr sagen?«
»Das, was ich dir eben erklärt habe. Ein nächtlicher Spezialeinsatz. Auf meine Veranlassung.«
»Aber ich arbeite nicht für dich.«
Elín schaute ihn müde an.
»Teamwork, Víkingur, Teamwork«, sagte sie. »Ich bitte dich um Teamwork.«
»Um Mitternacht?«, fragte er.
»Die Stunde des Verbrechens«, sagte Elín und grinste. »Weißt du noch, was Sherlock Holmes zu Dr. Watson gesagt hat? The game is afoot. Not a word! Into your clothes and come! Die Beute ist nah. Sag kein Wort! Zieh dich an und komm mit!«
Natürlich konnte er der Versuchung nicht widerstehen.
Auf dem Weg nach oben dachte Víkingur: Falls Elín meint, die Landespolizei sei Sherlock Holmes und die Kripo Reykjavík Dr. Watson, dann handelte es sich um ein Missverständnis, das korrigiert werden musste.
4. T AG
»Es gibt kein Alter; es gibt nur Leid. « Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass dies zwar wahr, aber nicht die ganze Wahrheit ist. Auch Gewohnheit lässt altern: der tödliche Prozess, dasselbe auf die gleiche Weise zur gleichen Zeit Tag für Tag zu tun, zunächst aus Achtlosigkeit, dann aus Passion, schließlich
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