Walkueren
Bauhausstil, offenbar so alt wie die Wohnung. An der Wand ein Gemälde von Þorbjörg Höskuldsdóttir, eine Grafik von Sigrid Valtingojer und ein altes Gemälde der Esja von Eyfells. Auf der Fensterbank stand eine Tonfigur von ›Sæmundur dem Gelehrten‹, wie er den Teufel in Seehundsgestalt mit einer Bibel erschlägt – ein Symbol für den Sieg der Weisheit über das Böse, den aufrichtigen Glauben an die Macht der Bildung.
Terje ging ins Badezimmer, als Guðrún die Balkontür öffnete und hinaustrat. Der Balkon war leer. Keine Wäscheleine. Noch nicht einmal ein Grill. Als sie wieder hineinging, hatte sie Schwierigkeiten, die Balkontür zu schließen; sie klemmte und schien sich durch den vielen Regen im Winter verzogen zu haben. Terje kam ihr zu Hilfe und schlug die Tür mit voller Wucht zu, sodass Guðrún zusammenzuckte. Ein solcher Lärm schien an diesem Ort nicht angemessen.
»Ich glaube, das ist die unpersönlichste Wohnung, die ich je betreten habe«, sagte Terje. »Irgendwie so, als hätte hier nie jemand gewohnt, außer vielleicht ein alter Witwer, der kein Händchen für Gemütlichkeit hat und alles so zweckmäßig wie möglich haben möchte.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte Guðrún.
»Es gibt zum Beispiel keine Pflanzen«, antwortete Terje.
»Sie ist viel gereist und war oft im Ausland«, sagte Guðrún.
»Dann lässt man eben die Nachbarn die Blumen gießen«, entgegnete Terje. »Und Freunde oder Verwandte schauen nach der Wohnung. Falls man Freunde hat. Aber hier scheint kein normaler Mensch gewohnt zu haben. Keine Fotos von anderen Leuten, bis auf dieses alte Hochzeitsfoto auf dem Schreibtisch, wahrscheinlich von ihren Eltern. Kein Kleinkram. Nichts Unnützes. Keine überflüssigen Kosmetikartikel im Bad; eine Gesichtscreme, zwei Parfüms, und das war’s. Noch nicht mal ein Lippenstift. Abgesehen von diesem bizarren Kinderzimmer kommt mir das hier vor wie ein Kloster. Was war sie eigentlich für ein Mensch?«
Was für ein Mensch war Freyja Hilmarsdóttir?
Wie sollte Guðrún diese Frage beantworten? Sie kannte Freyja nur aus den Medien, als Schriftstellerin und Referentin für Frauenforschung, die sich stets in der Frauenbewegung engagiert hatte, bei den Rotsocken, in der Frauenpartei und als Feministin. Überall gehörte sie zum innersten Zirkel, zur Führungsgruppe, aber nirgendwo hatte man ihr die Leitungsposition anvertraut. Dafür war sie wohl zu radikal gewesen in ihren Ansichten, starrsinnig und manchmal richtig diffamierend. Sie wollte, dass Frauen sich für Frauen einsetzten, statt sich, bis auf die Kleidung, wie Männer zu geben.
Bei ihrer Antrittsrede im Parlament schockierte sie viele, als sie sagte, Frauen seien dort nur schmückendes Beiwerk und das Althing, auf das die Isländer so unendlich stolz sind, sei immer noch derselbe Macho-Verein wie vor tausend Jahren – und ebenso undemokratisch. Der Parlamentsvorsitzende rügte sie wegen dieser Äußerung und sagte, sie habe das Andenken an alle Frauen, die je in diesem ehrwürdigen Parlament gesessen hätten, beschädigt.
Anstatt sich zu entschuldigen, fügte Freyja Hilmarsdóttir hinzu, das Althing sei eine chauvinistische Privatveranstaltung, und wenn das so weiterginge, würden weitere tausend Jahre ins Land ziehen, bis Frauen in diesem Männerladen etwas zu sagen hätten. Am Ende ihrer Rede stolzierte sie aus dem Parlamentssaal und distanzierte sich anschließend von ihren Gefährtinnen aus der Frauenpartei, die damals bereits von Karrieren als Berufspolitikerinnen träumten und sich heimlich mit den Sozis einließen.
Freyja saß nur drei Tage im Parlament, aber die Parlamentsgeschichte schenkte ihr mehr Beachtung als vielen, die dreißig Jahre dort gesessen hatten. Nach und nach erinnerte sich auch Terje wieder an den Vorfall.
»Ach, die war das?«, sagte er. »Toughe Frau! Natürlich hab ich von ihr gehört. Stand nicht letztens in der Zeitung, dass sie wieder ein Buch geschrieben hat?«
»Doch, woher weißt du das? Ich dachte, du liest nur den Sportteil.«
»Und die Klatschseiten«, sagte Terje. »Es sollte nämlich eine knallharte Abrechnung mit ihren Exmännern werden.«
»Nicht mit ihren Männern«, erklärte Guðrún. »Sie war nie verheiratet. Das Buch muss fast fertig gewesen sein und sollte von zwei Frauen jenseits der vierzig handeln, die beide von ihren Ehemännern verlassen und entsorgt worden sind, weil die sich was Jüngeres gesucht haben. Der Clou ist nur – die beiden Männer kennt
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