Riley Jenson 02 - Wächterin des Mondes
1
Ich roch Blut. Zähes, geronnenes Blut. Es klebte an meinem Körper und juckte. Überall.
Leise stöhnend richtete ich mich auf und rollte mich auf den Rücken. Langsam kam ich wieder zu mir und nahm weitere Eindrücke wahr. Ich lag mit dem Rücken auf dem kühlen Asphalt. Regen prasselte auf meine Haut. Es roch bestialisch nach Abfall, der zu lange in der Sonne gelegen hatte, ein Gestank, der von dem nach rohem Fleisch noch überlagert wurde.
Ohne zu wissen wieso, bereitete der Geruch mir ein mulmiges Gefühl.
Ich zwang mich, die Augen zu öffnen. Über mir erhob sich eine Betonmauer, die sich bedrohlich nach vorn neigte, als wollte sie gleich umfallen. In der Mauer befanden sich keine Fenster, und es brannte nirgendwo Licht. Einen Augenblick glaubte ich, mich in einem Gefängnis zu befinden, doch dann fiel mir wieder der Regen auf, und ich bemerkte, dass die Betonwand in einen von Wolken verhangenen Nachthimmel ragte.
Auch wenn der Mond nicht zu sehen war, wusste ich genau, an welcher Stelle seines Kreislaufs wir uns gerade befanden. Durch meinen Körper floss zwar ebenso viel Vampir- wie Werwolfblut, ich reagierte aber dennoch sehr sensibel auf die Mondphasen. Vor drei Tagen war Vollmond gewesen.
Ich konnte mich nur noch an den Beginn der Vollmondphase erinnern. Irgendwie waren mir die acht Tage dazwischen abhandengekommen.
Ich ließ meinen Blick nachdenklich an der Mauer hinaufgleiten, versuchte, mich zu orientieren und mich zu erinnern, wie ich hierhergekommen war. Wie um alles in der Welt war ich in einer so kühlen Nacht splitternackt und bewusstlos hier gelandet?
Mein vernebeltes Gehirn gab keine Erinnerungen preis. Mir war lediglich klar, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste. Etwas, das mir das Gedächtnis geraubt und mich über und über mit Blut besudelt hatte.
Mit zitternden Händen wischte ich mir den Regen aus dem Gesicht und sah nach links. Die Wand bildete eine Seite einer dunklen Gasse voller überquellender Mülltonnen. Am anderen Ende flackerte auf der Straße wie ein einsamer Stern in der Dunkelheit eine Straßenlaterne. Bis auf mein eigenes Keuchen war nichts zu hören. Keine Autos. Keine Musik. Nicht einmal ein Hund, der einen imaginären Feind anbellte. Kein Zeichen von Leben.
Ich schluckte, ignorierte meine Orientierungslosigkeit und meine Angst und wandte den Blick nach rechts.
Und sah ihn. Einen blutüberströmten Körper. O Gott …! Ich konnte doch nicht … Gott nein, ich hatte doch nicht etwa …?
Mein Mund wurde trocken und mein Magen verkrampfte sich. Ich rappelte mich hoch und taumelte zu der Leiche hinüber.
Dann betrachtete ich, was von Gesicht und Hals noch übrig war. Mir wurde übel, und ich drehte mich geistesgegenwärtig zur Seite, damit ich nicht auch noch mein Abendessen auf den Mann erbrach, den ich gerade umgebracht hatte. Obwohl ihn das schwerlich gestört hätte … Als ich schließlich nur noch trocken würgte, wischte ich mir mit der Hand den Mund ab, holte tief Luft und stellte mich dem Ergebnis meiner Tat.
Der Mann war groß, hatte dunkle Haut und noch dunklere Haare. Seine aufgerissenen braunen Augen und seine Miene wirkten überrascht, soweit ich das angesichts der verstümmelten Überreste überhaupt beurteilen konnte. Er war vollständig bekleidet, also hatte ich ihm nicht im Blutrausch den Hals aufgerissen. Das machte die Sache allerdings nicht unbedingt besser; denn erstens war ich nackt und hatte zweitens ganz offensichtlich in der letzten Stunde Sex gehabt.
Mein Blick glitt wieder zu seinem Gesicht, und mein Magen krampfte sich erneut warnend zusammen. Ich schluckte, zwang mich, seine Verstümmelungen zu ignorieren und konzentrierte mich auf den Rest. Er trug einen braunen Overall mit glänzenden Goldknöpfen, auf dessen linker Brusttasche die Buchstaben D.S.E. prangten. An seinem Gürtel hing ein Elektroschocker, am Kragen klemmte ein Funkmikrofon. Neben seiner rechten Hand lag eine Armbrust. An den Fingerspitzen hatte er Saugnäpfe wie ein Gecko.
Mir fröstelte. Solche Hände hatte ich schon einmal gesehen, und zwar erst vor knapp zwei Monaten. Damals war ich im Parkhaus des Casinos von Melbourne von einem Vampir und einem riesigen, blauen Wesen angegriffen worden, das nach Tod gerochen hatte.
Diese Erkenntnis schockte mich derart, dass mir einen Moment die Luft wegblieb und ich am liebsten weggelaufen wäre. Aber das durfte ich nicht, noch nicht. Erst musste ich so viel wie möglich über diesen Mann herausfinden. Ich hatte für
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