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Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Titel: Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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durchaus nicht faul, meine Dame.«
    »Sie verzeihen«, sagte sie. Sie wandte mir jetzt ihr zartes Profil zu
    und rief in den Wagen hinein: »Carlino, kocht das Wasser noch nicht?«
    »Moment«, rief eine gleichgültige Stimme, »ich bin schon beim Aufschütten.«
    »Trinkst du mit?«
    »Nein.«
    »Dann bring zwei Tassen, bitte. Sie trinken doch eine Tasse mit?«
    Ich nickte. »Und ich lade Sie zu einer Zigarette ein.«
    Das Geschrei unter der Terrasse wurde nun so wild, daß wir kein Wort mehr hätten verstehen können. Die Frau ohne Unterleib beugte sich über den Geranienkasten und rief: »Jetzt müßt ihr fliehen, schnell, schnell … die Russen stehen schon vor dem Dorf …«
    »Mein Mann«, sagte sie, sich zurückwendend, »ist nicht da, aber in Personalfragen kann ich …«
    Wir wurden unterbrochen von Carlino, einem schmalen, stillen, dunklen Burschen mit einem Haarnetz über dem Kopf, der Tassen und Kaffeekanne brachte. Er blickte mich mißtrauisch an.
    »Warum willst du nichts trinken?« fragte ihn die Frau, da er sich ganz kurz wieder abwandte.
    »Keine Lust«, murmelte er, im Wagen verschwindend.
    »In Personalfragen kann ich ziemlich selbständig entscheiden, allerdings etwas müssen Sie schon können. Nichts ist nichts.«
    »Meine Dame«, sagte ich demütig, »vielleicht kann ich die Räder
    schmieren oder die Zelte abbrechen, Traktor fahren oder dem Mann mit den Riesenkräften als Prügelknabe dienen …«
    »Traktor fahren«, sagte sie, »ist nichts, und die Räder schmieren ist eine kleine Kunst.«
    »Oder bremsen«, sagte ich. »Schiffschaukel bremsen …«
    Sie zog hochmütig die Brauen hoch, und zum ersten Male blickte sie mich ein wenig verächtlich an. »Bremsen«, sagte sie kalt, »ist eine Wissenschaft, ich vermute, Sie würden allen Leuten die Hälse brechen. Carlino ist Bremser.«
    »Oder …«, wollte ich zaghaft wieder vorschlagen, aber ein kleines dunkelhaariges Mädchen mit einer Narbe über der Stirn kam jetzt eifrig jene kleine Treppe herauf, die mich so lebhaft an ein Fallreep erinnerte. Sie stürzte sich in den Schoß der Mutter und schluchzte empört: »Ich soll sterben …«
    »Wie?« fragte die Frau ohne Unterleib entsetzt.
    »Ich soll das Flüchtlingskind sein, das erfriert, und Fredi will meine Schuhe und alles verscheuern …«
    »Ja«, sagte die Mutter, »wenn ihr Flüchtling spielt.«
    »Aber ich«, sagte das Kind, »ich soll immer sterben. Immer bin ich es, die sterben soll. Wenn wir Bomben spielen, Krieg oder Seiltänzer, immer muß ich sterben.«
    »Sag Fredi, er soll sterben, ich hätte gesagt, er sei jetzt an der Reihe
    mit Sterben.« Das Mädchen entlief.
    »Oder?« fragte mich die Frau ohne Unterleib. Oh, sie verlor den Faden nicht so leicht.
    »Oder Nägel geradeklopfen, Kartoffeln schälen, Suppe verteilen, was weiß ich«, rief ich verzweifelt, »geben Sie mir eine Chance …«
    Sie drückte die Zigarette aus, goß uns beiden noch einmal ein und blickte mich an, lange und lächelnd, dann sagte sie: »Ich werde Ihnen
    eine Chance geben. Sie können rechnen, nicht wahr, es gehört sozusagen zu Ihrem bisherigen Beruf und« – sie druckste ein bißchen – »ich werde Ihnen die Kasse geben.«
    Ich konnte nichts sagen, ich war wirklich sprachlos, ich stand nur auf und küßte ihre kleine Hand. Dann schwiegen wir, es war sehr still, und es war nichts zu hören als ein sanftes Singen von Carlino aus dem Wagen, jenes Singen, dem ich entnehmen konnte, daß er sich rasierte …
    An der Brücke

    Die haben mir meine Beine geflickt und haben mir einen Posten gegeben, wo ich sitzen kann: ich zähle die Leute, die über die neue Brücke gehen. Es macht ihnen ja Spaß, sich ihre Tüchtigkeit mit Zahlen zu belegen, sie berauschen sich an diesem sinnlosen Nichts aus ein paar Ziffern, und den ganzen Tag, den ganzen Tag geht mein stummer Mund wie ein Uhrwerk, indem ich Nummer auf Nummer häufe, um ihnen abends den Triumph einer Zahl zu schenken. Ihre Gesichter strahlen, wenn ich ihnen das Ergebnis meiner Schicht mitteile, je höher die Zahl, um so mehr strahlen sie, und sie haben Grund, sich befriedigt ins Bett zu legen, denn viele Tausende gehen täglich über ihre neue Brücke …
    Aber ihre Statistik stimmt nicht. Es tut mir leid, aber sie stimmt nicht. Ich bin ein unzuverlässiger Mensch, obwohl ich es verstehe, den Eindruck von Biederkeit zu erwecken.
    Insgeheim macht es mir Freude, manchmal einen zu unterschlagen und dann wieder, wenn ich Mitleid empfinde, ihnen ein paar zu

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