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Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Titel: Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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und reichte mir den Korb vorsichtig durch das Loch, ich langte zwei Hundertmarkscheine hinaus. Geld hatten wir satt, für einen Mantel bezahlten die Russen siebenhundert Mark, und wir hatten drei Monate nichts gesehen als Dreck und Blut, ein paar Huren und Geld …
    »Komm morgen wieder, ja?« sagte ich leise, aber sie hörte nicht mehr auf mich, ganz flink war sie weggehuscht, und als ich traurig meinen Kopf durch die Mauerlücke steckte, war sie schon verschwunden, und ich sah nur die stille russische Straße, düster und vollkommen leer; die flachdachigen Häuser schienen langsam von Schnee zugedeckt zu werden. Lange stand ich so da wie ein Tier, das mit traurigen Augen aus der Hürde hinausblickt, und erst als ich spürte, daß mein Hals steif wurde, nahm ich den Kopf ins Gefängnis zurück.
    Und jetzt erst roch ich, daß es da in der Ecke abscheulich stank, nach Pissoir, und die hübschen kleinen Kuchen waren alle mit einem zarten Zuckerguß von Schnee bedeckt. Ich nahm müde den Korb und ging aufs Haus zu; mir war nicht kalt, ich sah ja aus wie Theodor Körner und hätte noch eine Stunde im Schnee stehen können. Ich ging, weil ich doch irgendwohin gehen mußte. Man muß doch irgendwohin gehen, das muß man doch. Man kann ja nicht stehenbleiben und sich zuschneien lassen. Irgendwohin muß man gehen, auch wenn man verwundet ist in einem fremden, schwarzen, sehr dunklen Land …
    So ein Rummel

    Die Frau ohne Unterleib erwies sich als eines der charmantesten Frauenzimmer, das ich je gesehen hatte, sie trug einen entzückenden sombreroartigen Strohhut, denn als bescheidene Hausfrau hatte sie sich an die Sonnenseite jener kleinen Terrasse gesetzt, die neben ihrem Wohnwagen angebracht war. Ihre drei Kinder spielten unter der Terrasse ein sehr originelles Spiel, das nannten sie »Neandertaler«. Die beiden jüngeren, Junge und Mädchen, mußten das Neandertalpaar abgeben, und der größere, acht Jahre alt, ein blonder Bengel, der während des Dienstes den Sohn der »dicken Susi« abgeben mußte, dieser Bursche spielte den modernen Forscher, der die Neandertaler findet. Er wollte mit aller Gewalt seinen jüngeren Geschwistern die Kinnladen aushängen, um sie in sein Museum zu bringen.
    Die Frau ohne Unterleib klopfte mehrmals mit ihren Holzsohlen auf den Boden der Terrasse, denn ein wildes Geschrei drohte unsere beginnende Unterhaltung zu ersticken.
    Der Kopf des Älteren erschien über der niedrigen Balustrade, die mit rotblühenden Geranien geschmückt war, und fragte mürrisch:
    »Ja?«
    »Laß die Quälerei«, sagte seine Mutter, wobei sie in ihren sanften grauen Augen eine Belustigung unterdrückte, »spielt doch Bunker oder Totalgeschädigt.«
    Der Junge murmelte mißmutig etwas, das sich fast wie »Quatsch« anhörte, tauchte dann unter, schrie unten: »Es brennt, das ganze Haus brennt.« Leider konnte ich nicht verfolgen, wie das Spiel
    »Totalgeschädigt« weiterging, denn die Frau ohne Unterleib fixierte mich jetzt etwas schärfer; im Schatten ihres breitrandigen Hutes, durch den warm und rot die Sonne leuchtete, sah sie viel zu jung aus, um Mutter dreier Kinder zu sein und täglich bei fünf Vorstellungen die harten Aufgaben der Frau ohne Unterleib zu erfüllen.
    »Sie sind …«, sagte sie.
    »Nichts«, sagte ich, »absolut nichts. Sehen Sie mich als einen Vertreter des Nichts an …«
    »Sie sind«, fuhr sie ruhig fort, »vermutlich Schwarzhändler gewesen.«
    »Jawohl«, sagte ich.
    Sie zuckte die Schultern. »Es wird nicht viel zu machen sein. Auf jeden Fall, wo wir Sie auch gebrauchen können, müssen Sie arbeiten, arbeiten, verstehen Sie?«
    »Meine Dame«, entgegnete ich, »vielleicht stellen Sie sich das Leben eines Schwarzhändlers allzu rosig vor. Ich, ich war sozusagen an der Front.«
    »Wie?« Sie klopfte wieder mit dem Holzabsatz auf den Boden der Terrasse, denn die Kinder hatten nun ein ziemlich langanhaltendes wildes Geheul angestimmt. Wieder erschien der Kopf des Jungen über der Balustrade.
    »Nun?« fragte er kurz.
    »Spielt jetzt Flüchtling«, sagte die Frau ruhig, »ihr müßt jetzt abhauen aus der brennenden Stadt, verstehst du?«
    Wieder verschwand der Kopf des Jungen, und die Frau fragte mich:
    »Wie?«
    Oh, sie hatte den Faden durchaus nicht verloren.
    »Ganz vorne«, sagte ich, »ich war ganz vorne. Glauben Sie, das war ein leichtes Brot?«
    »An der Ecke?«
    »Sozusagen am Bahnhof, wissen Sie?«
    »Gut. Und nun?«
    »Möchte ich irgendeine Beschäftigung haben. Ich bin nicht faul,

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