Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Titel: Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
spülen, und ich wußte, daß die Nichte niemals so hübsche, kleine, feste Hände haben würde wie sie, denn die Hände sind fast wie der Mund, und es mußte furchtbar sein, wenn sie patriotische Hände hatte
    …
    Auch Kinder sind Zivilisten

    »Es geht nicht«, sagte der Posten mürrisch.
    »Warum?« fragte ich.
    »Weil's verboten ist.«
    »Warum ist's verboten?«
    »Weil's verboten ist, Mensch, es ist für Patienten verboten, rauszugehen.«
    »Ich«, sagte ich stolz, »ich bin doch verwundet.«
    Der Posten blickte mich verächtlich an: »Du bist wohl 's erstemal verwundet, sonst wüßtest du, daß Verwundete auch Patienten sind, na geh schon jetzt.«
    Aber ich konnte es nicht einsehen.
    »Versteh mich doch«, sagte ich, »ich will ja nur Kuchen kaufen von dem Mädchen da.«
    Ich zeigte nach draußen, wo ein hübsches kleines Russenmädchen im Schneegestöber stand und Kuchen feilhielt.
    »Mach, daß du reinkommst!«
    Der Schnee fiel leise in die riesigen Pfützen auf dem schwarzen
    Schulhof, das Mädchen stand da, geduldig, und rief leise immer wieder: »Chuchen … Chuchen …«
    »Mensch«, sagte ich zu dem Posten, »mir läuft's Wasser im Munde zusammen, dann laß doch das Kind eben reinkommen.«
    »Es ist verboten, Zivilisten reinzulassen.«
    »Mensch«, sagte ich, »das Kind ist doch ein Kind.«
    Er blickte mich wieder verächtlich an. »Kinder sind wohl keine
    Zivilisten, was?«
    Es war zum Verzweifeln, die leere, dunkle Straße war von Schneestaub eingehüllt, und das Kind stand ganz allein da und rief immer wieder: »Chuchen …«, obwohl niemand vorbeikam.
    Ich wollte einfach rausgehen, aber der Posten packte mich schnell am Ärmel und wurde wütend. »Mensch«, schrie er, »hau jetzt ab, sonst hol ich den Feldwebel.«
    »Du bist ein Rindvieh«, sagte ich zornig.
    »Ja«, sagte der Posten befriedigt, »wenn man noch 'ne Dienstauffassung hat, ist man bei euch ein Rindvieh.«
    Ich blieb noch eine halbe Minute im Schneegestöber stehen und sah,
    wie die weißen Flocken zu Dreck wurden; der ganze Schulhof war voll Pfützen, und dazwischen lagen kleine weiße Inseln wie Puderzucker. Plötzlich sah ich, wie das hübsche kleine Mädchen mir mit den Augen zwinkerte und scheinbar gleichgültig die Straße hinunterging. Ich ging auf der Innenseite der Mauer nach.
    »Verdammt«, dachte ich, »ob ich denn tatsächlich ein Patient bin?« Und dann sah ich, daß da ein kleines Loch in der Mauer war neben dem Pissoir, und vor dem Loch stand das Mädchen mit dem Kuchen. Der Posten konnte uns hier nicht sehen. »Der Führer segne deine Dienstauffassung«, dachte ich.
    Die Kuchen sahen prächtig aus: Makronen und Buttercreme- Schnitten, Hefekringel und Nußecken, die von Öl glänzten. »Was kosten sie?« fragte ich das Kind.
    Sie lächelte, hob mir den Korb entgegen und sagte mit ihrem feinen Stimmchen: »Dreimarkfinfzig das Stick.«
    »Jedes?«
    »Ja«, nickte sie.
    Der Schnee fiel auf ihr feines, blondes Haar und puderte sie mit flüchtigem silbernem Staub; ihr Lächeln war einfach entzückend. Die düstere Straße hinter ihr war ganz leer, und die Welt schien tot …
    Ich nahm einen Hefekringel und kostete ihn. Das Zeug schmeckte prachtvoll, es war Marzipan darin. »Aha«, dachte ich, »deshalb sind die auch so teuer wie die anderen.«
    Das Mädchen lächelte. »Gut?« fragte sie. »Gut?«
    Ich nickte nur: mir machte die Kälte nichts, ich hatte einen dicken Kopfverband und sah aus wie Theodor Körner. Ich probierte noch eine Buttercremeschnitte und ließ das prachtvolle Zeug langsam im Munde zerschmelzen. Und wieder lief mir das Wasser im Munde zusammen …
    »Komm«, sagte ich leise, »ich nehme alles, wieviel hast du?«
    Sie fing vorsichtig mit einem zarten, kleinen, ein bißchen
    schmutzigen Zeigefinger an zu zählen, während ich eine Nußecke verschluckte. Es war sehr still, und es schien mir fast, als wäre ein leises sanftes Weben in der Luft von den Schneeflocken. Sie zählte sehr langsam, verzählte sich ein paarmal, und ich stand ganz ruhig dabei und aß noch zwei Stücke. Dann hob sie ihre Augen plötzlich zu mir, so erschreckend senkrecht, daß ihre Pupillen ganz nach oben standen, und das Weiße in den Augen war so dünnblau wie
    Magermilch. Irgend etwas zwitscherte sie mir auf Russisch zu, aber ich zuckte lächelnd die Schultern, und dann bückte sie sich und schrieb mit ihren schmutzigen Fingerchen eine 45 in den Schnee; ich zählte meine fünf dazu und sagte: »Gib mir auch den Korb, ja?«
    Sie nickte

Weitere Kostenlose Bücher