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Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck

Titel: Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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… nee, die Amis … ach, die Kleinen sollten ruhig Brot essen, Brot essen
    … einen ganzen Berg Brot wollte er den Kleinen kaufen … Brot in Bergen … einen ganzen Güterwagen voll Brot … voll Anthrazit; und das Glück in der Spritze.
    Mit zwei i, verdammt!
    Die Nonne lief auf ihn zu, griff sofort nach dem Puls und blickte
    unruhig um sich. Mein Gott, ob sie den Arzt rufen sollte? Aber sie konnte das phantasierende Kind nun nicht mehr allein lassen. Die kleine Schranz war tot, hinüber, Gott sei Dank, dieses kleine Mädchen mit dem Russengesicht! Wo der Arzt nur blieb … sie rannte um das Ledersofa herum …
    »Nix«, schrie das Kind, »ich bin nicht getauft.«
    Der Puls drohte regelrecht überzuschnappen. Der Nonne stand Schweiß auf der Stirn. »Herr Doktor, Herr Doktor!« rief sie laut, aber sie wußte ganz genau, daß kein Laut durch die gepolsterte Tür drang …
    Das Kind wimmerte jetzt erbärmlich.
    »Brot … einen ganzen Berg Brot für die Kleinen … Schokolade … Anthrazit … die Luxemburger, diese Schweine, sie sollen nicht schießen, verdammt, die Kartoffeln, ihr könnt ruhig an die Kartoffeln gehen … geht doch an die Kartoffeln! Frau Großmann … Vater … Mutter … Hubert … durch den Türspalt, durch den Türspalt.«
    Die Nonne weinte vor Angst, sie wagte nicht wegzugehen, das Kind begann jetzt zu wühlen, und sie hielt es an den Schultern fest. Das Ledersofa war so scheußlich glatt. Die kleine Schranz war tot, das kleine Herzchen war im Himmel. Gott sei ihr gnädig; ach gnädig … sie war ja unschuldig, ein kleines Engelchen, ein kleines häßliches Russenengelchen … aber nun war sie hübsch …
    »Nix«, schrie der Junge und versuchte, mit den Armen um sich zu schlagen, »ich bin nicht getauft.«
    Die Nonne blickte erschreckt auf. Sie lief zum Wasserbecken, hielt den Jungen ängstlich im Auge, fand kein Glas, lief zurück, streichelte die fiebrige Stirn. Dann ging sie an das kleine weiße Tischchen und ergriff ein Reagenzglas. Das Reagenzglas war schnell voll Wasser, mein Gott, wie wenig Wasser in so ein Reagenzglas geht …
    »Glück«, flüsterte das Kind, »tun Sie viel Glück in die Spritze, alles, was Sie haben, auch für die Kleinen …«
    Die Nonne bekreuzigte sich feierlich, sehr langsam, dann goß sie das Wasser aus dem Reagenzglas über die Stirn des Jungen und sprach unter Tränen: »Ich taufe dich …«, aber das Kind, von dem kalten Wasser plötzlich ernüchtert, hob den Kopf so plötzlich, daß das Glas aus der Hand der Schwester fiel und auf dem Boden zerbrach. Der Junge blickte die erschreckte Schwester mit einem kleinen Lächeln an und sagte matt: »Taufen … ja …«, dann sank er so heftig zurück, daß sein Kopf mit einem dumpfen Schlag auf das Ledersofa fiel, und sein Gesicht sah nun schmal aus und alt, erschreckend gelb, wie er so regungslos dalag, die Hände zum Greifen gespreizt …
    »Ist er geröntgt?« rief der Arzt, der lachend mit Dr. Lohmeyer ins Zimmer trat. Die Schwester schüttelte nur den Kopf. Der Arzt trat näher, griff automatisch nach seinem Hörrohr, ließ es aber wieder los und blickte Lohmeyer an. Lohmeyer nahm den Hut ab. Lohengrin war tot …
    Geschäft ist Geschäft

    Mein Schwarzhändler ist jetzt ehrlich geworden; ich hatte ihn lange nicht gesehen, schon seit Monaten nicht, und nun entdeckte ich ihn heute in einem ganz anderen Stadtteil, an einer verkehrsreichen Straßenkreuzung. Er hat dort eine Holzbude, wunderbar weißlackiert mit sehr solider Farbe; ein prachtvolles, stabiles, nagelneues Zinkdach schützt ihn vor Regen und Kälte, und er verkauft Zigaretten, Dauerlutscher, alles jetzt legal. Zuerst habe ich mich gefreut; man freut sich doch, wenn jemand in die Ordnung des Lebens zurückgefunden hat. Denn damals, als ich ihn kennenlernte, ging es ihm schlecht, und wir waren traurig. Wir hatten unsere alten Soldatenkappen über der Stirn, und wenn ich gerade Geld hatte, ging ich zu ihm, und wir sprachen manchmal miteinander, vom Hunger, vom Krieg; und er schenkte mir manchmal eine Zigarette, wenn ich kein Geld hatte; ich brachte ihm dann schon einmal Brotmarken mit, denn ich kloppte gerade, Steine für einen Bäcker, damals.
    Jetzt schien es ihm gut zu gehen. Er sah blendend aus. Seine Backen hatten jene Festigkeit, die nur von regelmäßiger Fettzufuhr herrühren kann, seine Miene war selbstbewußt, und ich beobachtete, daß er ein kleines, schmutziges Mädchen mit heftigen Schimpfworten bedachte und wegschickte, weil ihm fünf

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