Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Ruhe, Geborgensein und umfriedetem Glück. Er war nicht bloß unsensationell, er war auch, seinem eigenen Zeugnisse nach, unenthusiastisch, und sah, ähnlich wie König Friedrich Wilhelm III., in allem, was ihn umlärmte, nur eine Mischung von Unordnung und Unzugehörigkeit, an der teilzunehmen etwas wenig Schönes und im ganzen genommen auch nicht sonderlich Ehrenvolles war. Es führte meistens in schlechte Gesellschaft, und – Kinder spielten Weltgeschichte. Wie weit er es in dem allem traf oder nicht traf, mag hier um so lieber unerörtert bleiben, als ich mich über diese Frage schon an anderer Stelle geäußert und namentlich auf das Mißliche seiner und der Marwitzschen Adelsopposition gegen die »Neuerer« hingewiesen habe. Was aber freilich in dieser Opposition überall erquickt, ist die konsequente Verspottung der Phrase, ganz besonders der Freiheitsphrase, zu deren abweisender Kritik er speziell um so berechtigter war, als er für die wirkliche Freiheit und »für das Recht, das mit uns geboren ist«, ein volles und freudiges Verständnis hatte. Und dies erscheint mir als seine schönste Seite, zugleich als die, der wir unschwer entnehmen können, daß er nicht in den vorwiegend militärisch-gedrillten Ostprovinzen unserer Monarchie, sondern im Westen, an der holländischen Grenze geboren und erzogen war. In der Tat, all seiner Loyalität unbeschadet, ist doch ein wohltuend republikanischer Zug in seinem ganzen Tun und Denken erkennbar, und jedesmal empört er sich, wenn er wahrnimmt, wie wieder einmal hier oder dort, aus bloßer Machthaberlaune, mit dem Menschenleben erbarmungslos gespielt worden ist. Am ablehnendsten verhielt er sich gegen das politische Gebaren der Rheinbundfürsten, denen er nicht bloß ihre frühere Schweifwedelei, sondern vielmehr noch ihre Haltung, ihren eigenen Untertanen gegenüber, zum Vorwurf machte. Jedem Absolutismus abhold, interessierten ihn aufs lebhafteste die Verfassungskämpfe jener Zeit, und es war wenige Wochen vor seinem Tode, daß er schrieb: »Ich erkenne mehr und mehr, daß die Politik die Wissenschaft des Betruges ist. Und so wird es bleiben, bis vernünftige Landesverfassungen da sein werden, die Kraft haben, die Großen zu binden.«
Solche Worte werden uns mit einer gewissen Enge, wie sie seinem zu stark ausgeprägten Familiensinn entstammte, leicht wieder aussöhnen, und um so leichter, je mehr wir im Gedächtnis behalten, daß er sich, wider Wunsch und Willen, in Zeitläufte gestellt sah, die seiner Natur widersprachen und der Betätigung seiner auf Beschaulichkeit und stilles Glück gerichteten Gaben ungünstig waren.
Er hatte nicht den großen Sinn für den Staat, aber er war ein nachgeborener Patriarch und ein Ideal innerhalb des Hauses und seiner Umfriedung.
4. Kapitel
Liebenberg unter Karl von Hertefeld
1816–1867
Seinem Vater Friedrich Leopold folgte Karl von Hertefeld, der sogenannte »alte Hertefeld«, im Besitze von Liebenberg. Er stand demselben fünfzig Jahre lang vor und starb kinderlos. Mit ihm erlosch das alte Clevesche Geschlecht, das den brandenburgisch-preußischen Landen so viele durch Geist, Charakter und freiere Lebensauffassung ausgezeichnete Männer gegeben hatte. Denn beinahe allen war ein reformatorischer Zug eigen, derselbe Zug, der sich auch in so vielen unsrer Hohenzollern unschwer erkennen und verfolgen läßt.
Karl von Hertefeld wurde den 27. Oktober 1794 auf Schloß Bötzlar geboren. Die Freude, »daß nun ein Erbe da sei«, war groß, und kein Brief aus jener Zeit, der nicht Zeugnis davon ablegte, wie von einem allerglücklichsten Familienleben überhaupt. »Karl schackert wie eine Elster. Er grüßt Dich und reitet, seit er ein Steckenpferd hat, täglich zu Schwester Dine.« So heißt es im Mai 1797. Und als nun im selbigen Herbst eben dieser Schwester (Alexandrine Dankelmann) ein Sohn geboren wurde, wurde es versucht, dem dreijährigen »Onkel Karl« eine Vorstellung von seiner neuen Würde beizubringen. Es schien nicht gelingen zu sollen, als aber, einige Tage später, »Onkel Wylich«, ein Bruder der Frau von Hertefeld, in den Schloßhof einfuhr, lief ihm Karl entgegen und rief schon von weitem: »Onkel, ich bin nun auch Onkel.«
Die frühesten Kindheitsjahre verliefen infolge der vielen, im vorigen Kapitel geschilderten Hin- und Herzüge ziemlich unruhig, und von »Erziehung« konnte wohl erst die Rede sein, als der alte Freiherr in Liebenberg ein für allemal eingebürgert war. In vielen seiner Briefe werden
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