Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Herzensgüte gemildert, wie ich denn auch nie gehört habe, daß sie ihre Autorität im Hause durch Strenge oder gar Härte unterstützt hätte. Sie regierte vielmehr ausschließlich durch Ernst und Konsequenz, vor allem aber durch ihr Beispiel, und war von ihren Untergebenen, wie von allen Nachbarn und Freunden, ebenso geliebt als verehrt. Von ihrer Frömmigkeit, dem schönen Erbteil ihres gottseligen Vaters, machte sie keine Worte, und alle Liebeswerke wurden in der Stille geübt.
Bei aller häuslichen Tätigkeit vernachlässigte sie nicht die Bildung ihres Geistes und ging stets mit der fortschreitenden Zeit, deren Erscheinungen sie mit dem lebendigsten Interesse verfolgte. Walter Scotts Romane zählten zu ihrer Lieblingsunterhaltung, und oft erinnerte sie mich selbst an einzelne poetische Gestalten darin, besonders wenn sie mit einem wahren Feuereifer von dem Besuche Friedrich Wilhelms III. und der reizenden Königin Luise in Ganzer erzählte, als wäre es ein Vorgang von gestern gewesen. Eine lila Flachsstaude im Garten, die die Königin Luise für ihre Lieblingsblume erklärt hatte, wurde, fast ein halbes Jahrhundert hindurch und von einem eisernen Korbgeflecht umfangen, sorgsam gepflegt und jedem Besucher gezeigt.
Ihre Unterhaltung war belebt und belehrend, und oft vom originellsten Humor gewürzt, wie sie denn durch und durch ein naturwüchsiges Original war. Wenn man sich ihrer Kräfte bei allen Anstrengungen verwunderte, versicherte sie, das rühre von einem starken Beisatz von Schwefel in ihrem Blute her, und rieb sich, zum Beweise, die Hände, wobei ich indes von dem verheißenen Schwefelgeruch niemals etwas wahrgenommen habe.
Die Frische und Jugendlichkeit aber, die sie sich bis ins hohe Alter bewahrte, gipfelte besonders in ihrer fast anbetenden Liebe zu ihrem Manne, der dieselbe mit großer Treue und etwas kühler Verehrung erwiderte. Bei Tische horchte sie nur auf seine Stimme, und wenn irgendein scherzhaftes Wort seines Mundes zu ihr herüberklang, so rief sie, wie in unwillkürlichem Entzücken und mit strahlender Miene: ›Himmlischer Jürgaß!‹ ›Göttlicher Karl!‹ Nie werde ich den Zustand vergessen, in dem wir die Achtzigjährige fanden, als sie die Nachricht erhalten hatte, daß ihr Karl, während eines Besuches bei seinem Bruder in Berlin, heftig erkrankt sei, und sie nicht zu ihm dürfe! Mit Tränen überströmt, an allen Gliedern zitternd, ganz aus ihrer gewohnten festen und kräftigen Haltung hinausgeworfen, stand die alte Frau da, wie das Bild der Leidenschaft jugendlichster Liebe.
Einst gestand sie mir, daß sie, an jedem Jahrestag ihrer Vermählung, in aller Stille immer ihr Hochzeitskleid unter ihrem einfachen Hausrock anlege, und daß ihre große Halskrause dann den Schmuck und die Perlenschnur des Hochzeitsstaates vor aller Augen berge.
Sogar der Beisatz der Eifersucht fehlte dieser leidenschaftlichen Liebe nicht; doch richtete sie sich auf den unschuldigsten Gegenstand, auf den von sieben andern einzig übriggebliebenen Bruder ihres Mannes, den als Held aus den Freiheitskriegen berühmten, mit den schwersten Wunden und den ehrenvollsten Orden bedeckten Generalleutnant von Jürgaß (›die Exzellenz., wie sie ihn in tiefer Ehrfurcht stets nannte), der fast jeden Sommer, zur Stärkung seiner erschütterten Gesundheit, einige Wochen oder Monate in Ganzer zubrachte, wo dann die Brüder, wie ein Paar Inséparables, vom Morgen bis zum Abend untereinander verkehrten, und sie sich, als die Dritte im Bunde, etwas beiseite geschoben fühlte. Auch verhehlte sie, in ihrer großen Wahrheitsliebe, nicht eine jedesmalige, etwas wehmütige Scheu bei der Meldung dieses Besuches, und war es drum in der Nachbarschaft eine gern erzählte Anekdote, daß sie sich, in ihren häuslichen Verpflichtungen bei Bewirtung der Exzellenz noch absichtlich steigre, um vor sich selbst und vor anderen den kleinen eifersüchtelnden Verdruß an dem Besuche zu bemänteln.
Diese Exzellenz selbst aber war der einfachste, anspruchsloseste Heldengreis, der mir je vorgekommen, bedeutender als sein Bruder, bescheiden im Bericht über seine Taten, und mit der Schwägerin auf einem ziemlich förmlichen Fuß. Ich habe nie etwas Kindlicheres und Naiveres gesehen als das zärtliche Verhältnis dieser beiden Brüder, besonders sind mir die harmlosen kleinen Whist-Partien um allerniedrigste Points in Erinnerung geblieben, die jeden Abend in der Wohnstube stattfanden und noch Jahre lang, nach dem Tode der im neunzigsten
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