Wanderungen durch die Mark Brandenburg
von Ingersleben, »daß er nichts als einen Magen gehabt habe«. Und dessen sollte das Land bald gewahr werden.
Am 24. Oktober verließen König und Königin Küstrin, und am 31. erschienen 250 Franzosen an der Torschreiberbrücke, von der aus sie mit einem in der Nähe stehenden preußischen Pikett zu plänkeln begannen. Als der Kommandierende dieses Piketts um Verstärkung bat, erhielt er die Antwort: »er (Ingersleben) könne keine Leute aus der Festung lassen, weil sie alle davonlaufen würden.« So ging denn das Pikett zurück und beschränkte sich darauf, die Brückenpfeiler in Brand zu stecken. Von den Wällen aus sah man die Franzosen am andern Ufer promenieren, lachen und scherzen, wobei sie, wie zur Verspottung ihrer Gegner, die Finger in große Honigtöpfe tauchten, deren sie sich in den Kellern einiger vorstädtischer Bienenzüchter bemächtigt hatten.
Inzwischen rückte die feindliche Hauptkolonne nach, und schon um 12 Uhr nachts schloß Oberst Ingersleben, ohne daß auch nur ein einziger Schuß gefallen wäre, in einem außerhalb der Stadt gelegenen Hause die Kapitulation ab. Da derselbe kein Amtssiegel mitgebracht hatte, so wurde das Siegel der Färberinnung, das sich am raschesten beschaffen ließ, herbeigeholt und auf diese burleske Weise der Kapitulationsvertrag vollgültig gemacht.
Damit war der Verrat geübt. Es handelte sich aber noch darum, diese Felonie den alten berühmten Bataillonen auch annehmbar zu machen. Und das war nicht leicht, denn Ingersleben kannte sehr wohl die Gesinnungen des gemeinen Mannes. In der Tat rebellierte das Bataillon Oranien, als ihm die Kapitulation endlich mitgeteilt wurde, so daß Ingersleben in die Lage kam, zu seinem eigenen persönlichen Schutz den Feind in Kähnen über die Oder herbeiholen zu müssen. Auch jetzt noch stand die Sache mißlich genug, denn ein am Geschütz postierter Artillerist hob, als er die heranschwimmenden Kähne sah, bereits die Lunte; aber ein Offizier von der Kapitulationspartei hieb ihn mit dem Degen über die Hand und rief: »Kerl, bist du des Teufels.« So landete denn der Feind unangefochten, und Ingersleben selbst ordnete die Waffenstreckung an. Wütend zerschlugen die Soldaten ihre Musketen und wurden dann in die Kriegsgefangenschaft geführt. Viele ranzionierten sich übrigens und waren später mit unter den Verteidigern von Kolberg.
Als dem Kaiser Napoleon einige Tage später die Kapitulation zur Gutheißung vorgelegt wurde, strich er eigenhändig den Paragraphen, der dem von Ingersleben den Eintritt in die französische Armee zusagte. »Er könne einen Mann nicht brauchen, der seinen Herrn verraten habe.« Durch ein preußisches Kriegsgericht wurde der Unwürdige später »zum Arkebusieren« verurteilt, entzog sich aber der Urteilsvollstreckung durch Flucht und lebte noch jahrelang in einem Winkel Deutschlands. Arm und ehrlos, meidend und gemieden, – das Los aller, die damals »versagt« hatten. Ob durch Schuld oder Schicksal, war gleich.
Küstrin blieb länger als sieben Jahre in den Händen der Franzosen; erst am 7. März 1814 wurde es an ein preußisches Blockadekorps übergeben.
Manches hat es seitdem erfahren, auch als Festung. Der Warthe die vordem rechtwinkelig einmündete, hat man einen zweckentsprechenderen Lauf gegeben, und ein Zirkel von Schanzen und Forts umspannt jetzt das alte Festungsviereck. Was sich aber dem Auge des Laien auch heute noch als »Festung Küstrin« darstellt das sind nach wie vor die sechs alten Bastionen aus Markgraf Hansens Tagen her, mit deren einer (»Bastion Brandenburg«) und ihrer nächsten Umgebung wir uns in dem zweiten Abschnitt dieses Kapitels zu beschäftigen haben werden.
Die Katte-Tragödie
Stadt und Festung Küstrin haben eine fünfhundertjährige Geschichte, die zu skizzieren ich in vorstehendem bemüht gewesen bin. Nur über
einen
Tag innerhalb dieses langen Zeitabschnittes: über den 6. November 1730, an dem das Haupt Kattes auf Bastion Brandenburg fiel, bin ich hinweggegangen. Und doch wiegt dieser Tag schwerer als die Gesamtsumme dessen, was vorher und nachher an dieser Stelle geschah, und mag als das Gegenstück zu dem 18. Juni 1675 gelten, zu dem »Tage von Fehrbellin«. Mit diesen beiden Tagen, dem heiteren 18. Juni und dem finsteren 6. November, beginnt unsere Großgeschichte. Aber der 6. November ist der größere Tag, denn er veranschaulicht in erschütternder Weise jene moralische Kraft, aus der dieses Land, dieses gleich sehr zu hassende und zu liebende
Weitere Kostenlose Bücher