Wanderungen durch die Mark Brandenburg
eine Wüste. Der Marquis Montalembert schrieb nach Paris: »Alles ist eingeäschert, tot, geflohen; man findet keine Menschen, kein Pferd, kein Herdenvieh mehr«, und dem neumärkischen Landrat von Wobeser, der um Vergütung des erlittenen Brandschadens eingekommen war, antwortete der König selbst in jenem grimmen Humor, zu dem er nur zu sehr berechtigt war: »Am jüngsten Tage kriegt jeder alles wieder.«
Bald nach dem Kriege wurde mit dem Wiederaufbau der Stadt begonnen. Er vollzog sich von 1768 bis 1770, so daß das gegenwärtige Küstrin mit Ausnahme des Schlosses, das während des Bombardements nur partiell zerstört wurde, als eine verhältnismäßig neue Stadt angesehen werden kann.
Küstrin am 1. November 1806
Jena war geschlagen; flüchtig und in Auflösung begriffen ging die preußische Armee über die Elbe, und nur einzelne Trümmer derselben erreichten noch die Oder. In die Flucht hineingerissen ward auch der Hof. Am 19. trafen König und Königin in Küstrin zusammen und bezogen Quartier in einem am Markte gelegenen Gasthof (Goldener Hirsch). Am Tore der Festung waren sie von dem Obersten und Kommandanten von Ingersleben empfangen worden. Unter den unrühmlichen Festungskommandanten jener Epoche der unrühmlichste, weil der zweideutigste. Von dem, was den Soldaten macht und ehrt, besaß er nichts.
»Ingersleben« – so schreibt General von der Marwitz, eine Quelle, deren Zuverlässigkeit niemand beargwöhnen wird – »war seit dem Champagne-Feldzug von 1792 Ritter des Pour le mérite. Aber wie hatte er den Orden erhalten? Der König legte großen Wert darauf, kein Geschütz in dem aufgeweichten Kalkboden stehen zu lassen. Eines Tages quälten sich die Artilleristen mit einer solchen Kanone, als das Regiment, bei welchem Ingersleben stand, vorüberzog. Dieser saß auf einem seiner gewaltigen Gestalt angemessenen riesigen Braunen, der, aller Kriegsstrapazen unerachtet, noch sehr wohl imstande war. Ingersleben hatte den König kaum gesehen, als er vom Pferde sprang und seinen Braunen in eines der Geschirre steckte. Wohlweislich aber ließ er den Sattel mit Pistolenhalfter und der großen goldgestickten Paradeschabracke auf den Rücken des Pferdes. Und nun tat er sehr geschäftig, schrie, legte selbst Hand an und trieb so, daß die Kanone richtig aus dem Schlamm herauskam. Der König fragte sogleich, wem das Pferd gehöre, und gab ihm den Orden. Ingersleben aber, als der König weit genug fort war, spannte seinen Braunen wieder aus, setzte sich auf und ließ die Kanone stehen. Später wurde er wegen üblen Betragens vor dem Feinde vom Regimente entfernt, bis ihn höfische Fürsprache zum Kommandanten von Küstrin machte.«
Sein Adlatus war der Oberst von Weyher, ein hochmütiger, die Bürger und Soldaten gleichmäßig malträtierender Bramarbas, dem die gesamte Festungsgarnison unterstellt war. Diese bestand aus den Depotbataillonen dreier berühmter Regimenter: Prinz Heinrich, Prinz von Oranien (früher Markgraf Karl) und von Zenge. Dazu 500 Mann von der Festungsartillerie.
König Friedrich Wilhelm III., der sich auf Menschenbeurteilung sehr wohl verstand und nur die bis zur Schwäche gehende Bescheidenheit hatte, sich dem Urteil anderer, öfter als gut war, unterzuordnen, scheint der Tüchtigkeit oder dem guten Willen Ingerslebens von Anfang an mißtraut zu haben. Er ließ sich von ihm auf den Festungswällen umherführen und stellte bei dieser Gelegenheit die Frage: »ob er sich's auch wirklich getraue?« worauf Ingersleben die berühmte Antwort gab: »er werde die Festung halten, bis ihm das Schnupftuch in der Tasche brenne«.
Von einzelnen Interpreten ist der bald darauf zutage tretende Verrat Ingerslebens auf dieses Gespräch zwischen ihm und dem Könige zurückgeführt und aus einem durch obige Frage, »ob er sich's auch getraue«, beleidigten Ehrgefühl erklärt, die Tat selbst also als ein Racheakt hingestellt worden. Aber dies ist falsch, weil viel zu tief und ernsthaft genommen. Ein Mann, der eine Komödie wie die, die von der Marwitz erzählt, aufführen konnte, entbehrte solchen Ehrgefühls durchaus, und die Triebfedern seiner Handlungsweise sind entweder in Feigheit und Bestechlichkeit oder günstigstenfalls in einer Art von Apathie zu suchen. Denn er gehörte zu den Leuten, die jeden Glauben an die Widerstands- oder auch nur an die Lebensfähigkeit Preußens verloren hatten. Sie spöttelten und freuten sich eigentlich dessen, was geschah. In den »Vertrauten Briefen« heißt es
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