Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Friedrich-Werderschen Kirchhof ragt sein Denkmal auf, und andere Denkmäler werden folgen. Am schönsten aber lebt sein Gedächtnis in der Schule fort, die er gegründet und deren alljährlich wiederkehrendes Erinnerungsfest (das Schinkelfest) ein lebendiges Zeugnis ablegt von der Liebe zu dem geschiedenen Meister, zugleich auch von seiner Bedeutung.
Wenn beim Wein die Herzen klopfen
Und das Fest zum Liede drängt,
Ziemt sich's, daß die ersten Tropfen
Man den großen Toten sprengt,
Segnend waltet ihr Gedächtnis
Über uns, Gestirnen gleich,
Und in ihrer Kraft Vermächtnis
Fühlen wir uns groß und reich.
8. Michel Protzen
Deutsch und verständlich. Euer Exzellenz schalten und walten im Lande. Das ist meine Stube. – Halten zu Gnaden.
Schiller
Aus meiner frühesten Jugend entsinn' ich mich seiner. Er war damals erst ein Vierziger, hieß aber schon der »alte Protzen«. Aufrecht stand er in der großen Rundtür seines Gasthofes und sah die Straße hinunter wie König Polykrates:
Dies alles ist mir untertänig;
Gestehe, daß ich glücklich bin.
Er trug einen Rock von altdeutschem Schnitt mit ungeheuren Knöpfen und einen Kamm auf dem Scheitel. In den Nacken hinein fielen ihm die weißen Locken, und sein mächtiger Kopf, der durch die Pockennarben eher gewann als verlor, erinnerte an das Kurfürstenbild auf der langen Brücke. Michel hieß er und Michel war er, der deutsche Michel in optima forma. Wie jeder Landesteil in einer bestimmten und dann typisch werdenden Figur kulminiert, so die Grafschaft Ruppin in Michel Protzen. Denn er war ein Autochthone dieser Grafschaft und stammte mit derselben Wahrscheinlichkeit aus Dorf Protzen, wie die Zietens aus Dorf Zieten oder die Schadows aus Dorf Schadow stammen.
Ein deutscher Bürger, wenn er diesen Namen verdienen soll, muß dreierlei haben: einen Besitz und ein Recht und ein Freiheitsgefühl, das aus Besitz und Recht ihm fließt.
So war es im Mittelalter, in den Reichs- und Hansastädten.
Aber als das Königreich Preußen ins Dasein sprang, stand es in deutschen Landen überall ziemlich schlecht mit dieser Dreiheit. Hier fehlte Besitz, dort Recht, und das Gefühl der Freiheit konnte nicht aufkommen. Nirgends aber lagen die Dinge kümmerlicher als in der Mark, weil nirgends die Besitzverhältnisse kümmerlicher lagen. Besitz schafft nicht notwendig Freiheit (Despotieen sind despotisch auch dem Reichtum gegenüber), aber der umgekehrte Satz ist richtig: keine Freiheit ohne Besitz. Und zehn Morgen Sandland sind kein Besitz. Der Ackerbürger des vorigen Jahrhunderts war ein ärmlicher, in die Stadt verschlagener Bauersmann, der, unmittelbar unter den Druckapparat des absoluten, überallhin eingreifenden Staates gestellt, sich nicht einmal der Täuschung einer Freiheit hingeben konnte, die für den zerstreut im Sande wohnenden und der Kontrolle mehr entrückten Landbewohner gelegentlich noch vorhanden war.
So war die Regel.
Aber nach der Lehre vom Gegensatz hat nicht nur jede Regel ihre Ausnahme, sondern die Ausnahme gestaltet sich gelegentlich auch um so extremer, je extremer die Regel ist. Inmitten der häßlichsten Menschen findet man wunderbare Schönheiten, Askese blüht in Zeiten sittlichen Verfalls, und in Epochen der Unfreiheit und bürgerlichen Verkommenheit sprießen die Beispiele höchster Bürgertugend auf. An der Entfaltung jedes Übermuts gehindert, gedeiht in solchen Ausnahmefällen der echteste Mut, die Selbstsucht wird gehindert, ins Kraut zu schießen, und so wächst sich denn ein die Keime des Idealen in sich tragendes Einzelindividuum, unter dem allgemeinen Walten der Unfreiheit und recht eigentlich infolge dieser Unfreiheit, in einen Idealzustand der Freiheit hinein.
So glücklich lagen nun die Dinge bei Michel Protzen nicht. Er war nichts weniger als eine Idealgestalt, am wenigsten nach der Seite der Freiheit hin. Durchaus herrisch von Natur, wurzelte das Stück Bürgertum, das er vertrat, nicht in geklärten Anschauungen oder in dem Enthusiasmus eines frei fühlenden und nur das Große und Allgemeine im Auge habenden Herzens, sondern in dem Eigensinn und Eigennutz eines festen und sich selbst zum Mittelpunkt setzenden Egoisten. Er erinnerte durchaus an jene deutsch-mittelalterlichen Tage, wo man die Freiheit nicht um der Freiheit, sondern um seiner selbst willen liebte. Alles in Selbstsucht getaucht, aber anziehend und fesselnd, wie jedes, was aus Natur und Leidenschaft emporwächst. Dieser Gruppe von
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