Wanderungen durch die Mark Brandenburg
abermals ein Jahr und Berlin ging in Flammen auf: das Rathaus, die Marien- und Nikolaikirche brannten nieder, und ein lateinisches Distichon ging von Mund zu Mund, das in Übersetzung lautete:
Am Tiburtiustag verheerte, Berlin, dich ein Feuer
Und in Asche versenkt, trauert der Städte Zier.
Das war 1380 am 11. August. Im selben Jahre stand ein Komet am Himmel und predigte Krieg. Und der Krieg kam und auch die Priegnitz sah ihn.
Am 4. März 1381 zog ein von Bassewitz vor Kyritz und bestürmte die Stadt. Und siehe da, schon waren die Mauern erstiegen, als sich die Bürgerschaft noch einmal zu verzweifelter Gegenwehr zusammentat und in einem Ausfall den Feind zurückschlug und besiegte. Dieser aber getröstete sich, »daß ein Engel auf der Mauer gestanden und irdische Kraft und Tapferkeit zu Schanden gemacht habe.« 2
Das Jahr darauf brachte gleiche Streit- und Raubzüge, die sich diesmal aber gegen das nur zwei Meilen von Quitzöwel entfernte Perleberg richteten. Auch waren es keine Bassewitze, sondern etwelche Königsmarcks (deren einer damals Landvogt der Priegnitz war), von denen die Stadt »gehuldet« wurde, wie der Chronist sich ausdrückt.
1383 starb Herzog Heinrich von Mecklenburg auf seinem Schlosse zu Schwerin. Er wurde betrauert als ein großer Verfolger der Räuber und Diebe, »deren er manche selber hängete, damit er sie von ihren Tagen brächte«, Worte, die die Junker auf Quitzöwel in der noch Unbedrohtheit ihrer Hälse lächelnd nachsprachen.
All das waren Vorgänge zwischen 1375 und 1385, das eigentliche große Geschehnis jener Zeit aber, insonderheit, soweit die Priegnitz mitspricht, war doch die Zerstörung Wilsnacks und der Aufbau der Wilsnacker Wunderblutkirche. Sehen wir, wie sich beides zutrug.
1383 am 16. August steckte Heinrich von Bülow – ganz nach Art der Bassewitz und Königsmarck, deren Fehde sich gegen Kyritz und Perleberg gerichtet hatte – Dorf Wilsnack in Brand, bei welcher Gelegenheit auch das Kirchlein ausbrannte. Der Priester des Dorfes aber grub einige Zeit danach im Schutt umher, um das eine oder andere vielleicht noch zu retten, und fand auch in einer Vertiefung des steinernen Altars eine Hostienbüchse, deren drei geweihte Hostien weder verbrannt noch verkohlt, sondern wie mit Blut gefärbt waren. 3 Er machte davon Anzeige nach Havelberg hin und der Bischof Dietrich Mann kam, um sich über das Mitgeteilte zu vergewissern. Er fand alles bestätigt; auch der Erzbischof von Magdeburg stimmte zu, so daß schon 1384, ein Jahr nach dem Brande, das Wallfahrten begann. Als bald danach Johann von Wopelitz, an Dietrich Manns Stelle, den Havelberger Bischofsstuhl bestieg, war das »Heilige Blut von Wilsnack« schon in der ganzen christlichen Welt berühmt. Es kamen Pilger nicht nur aus der Mark und allen Teilen Deutschlands, auch aus Schweden, Dänemark, Norwegen, Polen und Ungarn. Die Ungarn kamen alle Jahre an vierhundert Mann stark und unterhielten ein Wachslicht von solcher Größe, daß es oben von dem hochgelegenen Orgelchor her angesteckt werden mußte. Der Andrang war so groß, daß die durch den Dorfbrand verarmten Bauern sich als Gastwirte wieder auftaten, Handwerker gesellten sich ihnen, um für das Sorge zu tragen, was die Tausende von Pilgern brauchten, und so wuchs die Stätte derart, daß man ihr Wall und Mauern und ein Stadtrecht gab. Allerlei Mittel dienten ebenso zur Bereicherung der Wilsnacker Kirche, wie des Havelberger Stifts überhaupt. Eines dieser Mittel war die Sündenwaage. Jeder wußte mehr oder weniger genau, wieviel er wog; ergab sich nun, daß das Aufsetzen einer entsprechenden Anzahl von Steinen außerstande war, das Gleichgewicht der Waage herzustellen, so rührte das von der Sündenschwere her, deren Extragewicht durch allerlei Gaben balanciert werden mußte. Waren es Reiche, so traf es sich immer so, daß diese Sünden-Extraschwere ganz besonders groß war. Unter der Waage nämlich befand sich ein unsichtbar in das Kellergewölbe hinabführender Draht, mit dessen Hilfe man die Waage nachgiebig oder widerspenstig machte. Der Zweck rechtfertigte die pia fraus. Eine vielleicht noch größere Einnahmequelle bildeten die »bleiernen Hostien«, die man als »Pilgerzeichen vom Heiligen Blut« in Wilsnack kaufen konnte. Der Ertrag, der hieraus floß, war so groß, daß nicht nur die Wilsnacker Wunderblutkirche, sondern auch eine Prachtkapelle zu Wittstock (wo der Bischof meist residierte) davon bestritten werden konnte, des gleichzeitigen
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