Wanderungen Durch Die Mark Brandenburg: Band 3, Havelland
bessere Bild ist kaum noch erkennbar.
Es ist ein trister Aufenthalt, diese Klosterkirche von Lehnin, aber ein Bild anheimelnder Schönheit tut sich vor uns auf, sobald wir aus der öden, freudlosen Kirche mit ihren hohen, weißgetünchten Pfeilern ins Freie treten und nun die Szenerie der unmittelbaren Umgebung: Altes und Neues, Kunst und Natur, auf uns wirken lassen. Innen hatten wir die nackte, nur kümmerlich bei Leben erhaltene Existenz, die trister ist als Tod und Zerstörung, draußen haben wir die ganze Poesie des Verfalls, den alten Zauber, der überall da waltet wo die ewig junge Natur das zerbröckelte Menschenwerk liebevoll in ihren Arm nimmt. Hohe Park- und Gartenbäume, Kastanien, Pappeln, Linden, haben den ganzen Bau wie in eine grüne Riesenlaube eingesponnen, und was die Bäume am Ganzen tun, das tun hundert Sträucher an hundert einzelnen Teilen. Himbeerbüsche, von Efeuranken wunderbar durchflochten, sitzen wie ein grotesker Kopfputz auf Säulen und Pfeilerresten, Weinspaliere ziehn sich an der Südseite des Hauptschiffs entlang, und überall in die zerbröckelten Fundamente nestelt sich jenes bunte, rankenziehende Gestrüpp ein, das die Mitte hält zwischen Unkraut und Blumen. So ist es hier sommerlang. Dann kommt der Herbst, der Spätherbst, und das Bild wird farbenreicher denn zuvor. Auf den hohen Pfeilertrümmern wachsen Ebereschen und Berberitzensträucher, jeder Zweig steht in Frucht, und die Schuljugend jagt und klettert umher und lacht mit roten Gesichtern aus den roten Beeren heraus. Aber wenn die Sonne unter ist, geben sie das Spiel in den Trümmern auf, und wer dann das Ohr an die Erde legt, der hört tief unten die Mönche singen. Dabei wird es kalt und kälter; das Abendrot streift die Kirchenfenster, und mitunter ist es, als stünde eine weiße Gestalt inmitten der roten Scheiben. Das ist das Weiße Fräulein, das umgeht, treppauf, treppab, und den Mönch sucht, den sie liebte. Um Mitternacht tritt sie aus der Mauerwand, rasch, als habe sie ihn gesehn, und breitet die Arme nach ihm aus. Aber umsonst. Und dann setzt sie sich in den Pfeilerschatten und weint.
Und unter den Altangesessenen, deren Vorfahren noch unter dem Kloster gelebt, ist keiner, der das Weiße Fräulein nicht gesehn hätte. Nur die reformierten Schweizer und alle die, die nach ihnen kamen, sehen nichts und starren ins Leere. Die Alt-Lehninschen aber sind stolz auf diese ihre Gabe des Gesichts, und sie haben ein Sprüchwort, das diesem Stolz einen Ausdruck gibt. Wenn sie einen Fremden bezeichnen wollen oder einen später Zugezogenen, der nichts gemein hat mit Alt -Lehnin, so sagen sie nicht: »Er ist ein Fremder oder ein Neuer«, sie sagen nur: »Er kann das Weiße Fräulein nicht sehn.«
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Die Lehninsche Weissagung
Jetzo will ich, Lehnin, dir sorgsam singen die Zukunft,
Die mir gewiesen der Herr, der einstens alles geschaffen.
» Vaticinium Lehninense«
Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, während der Regierungsjahre Friedrich Wilhelms I., erschienen an verschiedenen Druckorten, teils selbständig, teils umfangreicheren Arbeiten einverleibt, 100 gereimte lateinische Hexameter, sogenannte Leoninische Verse, die in dunklem Prophetenton über die Schicksale der Mark und ihrer Fürsten sprachen und die Überschrift führten: »Weissagung des seligen Bruders Hermann, weiland Lehniner Mönches, der ums Jahr 1300 lebte und blühte«.
Diese Verse, die sich gleich selbst, in ihren ersten Zeilen, als eine Weissagung ankündigen: »Jetzt weissage ich dir, Lehnin, dein künftiges Schicksal«, machten großes Aufsehen, da in denselben mit bemerkenswertem Geschick und jedenfalls mit ungewöhnlicher poetischer Begabung das Aussterben der Hohenzollern in der elften Generation nach Joachim I. und die gleichzeitige Rückkehr der Mark in den Schoß der katholischen Kirche prophezeit wurde. Eine solche Prophezeiung war durchaus dazu angetan, Aufsehn zu erregen, da es auch damals (1721) in Deutschland nicht an Parteien fehlte, die freudig aufhorchten, wenn der Untergang der Hohenzollern in nähere oder fernere Aussicht gestellt wurde. In Berlin selbst, wie sich annehmen läßt, war das Interesse nicht geringer, und man begann nachzuforschen, nach welchem Manuskript die Veröffentlichung dieser Weissagung erfolgt sein könne. Diese Nachforschungen führten zuletzt auf eine mehr oder weniger alte Handschrift, die etwa um 1693 in der nachgelassenen Bibliothek des in dem genannten Jahre verstorbenen
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