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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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merkt nicht, daß sie nun kriecht, daß ihre Knie über das abgewetzte Holz des Fußbodens rutschen, daß ihre Hände im Dunkeln tasten, daß ihre Augen tränen. Sie fühlt nur, daß das rote Kleid sie beschützt.
    Die Uhr schlägt zum zweiten Mal. Sie findet den Türrahmen vor dem Kinderzimmer, die Tür ist offen. Sie kriecht auf allen vieren weiter, über die Schwelle, über die sie als Kind so oft gekrochen ist, in das Zimmer, in dem ihr Leben angefangen hat.
    Der dritte Schlag. Sie findet das eiserne Bett, die Beine sind glühend heiß, das Moskitonetz ist nicht mehr da. Trotzdem suchen ihre Hände weiter. Sie stoßen auf einen der Lederriemen, der herabhängt. Das Bett ist leer. Wo ist ihr Vater? Wo ist Parvat? Sie müssen hier sein.
    Der vierte Schlag. In Panik öffnet sie den Mund, aber der Rauch brennt im Hals. Ihre Hände tasten über den Fußboden, sie sucht die Räder des Rollstuhls, der immer neben dem Bett steht. Wo sind sie? Warum ist der Rollstuhl nicht da?
    Der fünfte Schlag. Der Rauch bohrt sich in sie hinein und drückt ihr die Luftröhre zu. Sie kann nicht mehr atmen, nichts mehr sehen. Sie schlägt um sich. Sie müssen hier sein. Er will schon seit so langer Zeit nicht mehr aus seinem Zimmer.
    Der sechste Schlag. Sie stößt gegen die Kiste, in der früher das Spielzeug war und auf die Hema heute den Tee stellt. Schmerzen spürt sie nicht, sie muß zurück. Luft! Sie muß atmen. Sie versucht sich aufzurichten, sie stürzt, verzweifelt sucht sie die Tür, wo ist der Ausgang?
    Der siebte Schlag. Sie fühlt die Schwelle, die Tür, aber die Halle, die zuvor noch mit dichtem Qualm gefüllt war, ist nun pechschwarz. Sie hustet und atmet den schwarzen Rauch ein.
    Der achte Schlag weist ihr die Richtung, in die sie kriechen muß. Die Uhr, die immer den Rhythmus ihrer Tage bestimmt, die Leere füllt, wenn niemand spricht, ihre treueste Hausgenossin, die alle ihre Tränen kennt. Sie ruft sie.
    Der neunte Schlag, hab keine Angst, sagt die Uhr, du bist fast an der Treppe, auf dem Weg nach unten, die Stufen, die ihre Mutter in dem lindgrünen Abendkleid und dem goldenen Diadem im Haar herabgeschritten ist.
    Der zehnte Schlag. Die Stunde, in der die Nacht mit Madan begann, die Nacht, die sie all die einsamen Nächte in dem großen Haus vergessen ließ. Das Kleid, das er für sie genäht hat, umfängt sie zärtlich.
    Der elfte Schlag. Die sengende Hitze drückt sie an sich. Läßt sie ein in ihre Hölle, ihren Himmel. Ihre Beine bewegen sich nicht weiter. Ihre Hände bleiben auf dem Boden liegen.
    Charlotte hört, wie die große Standuhr zum zwölften Mal schlägt.
     
    Issy schiebt den Rollstuhl so schnell sie kann den Pfad hoch. Sie hätte nie einen so langen Spaziergang machen sollen, es war schon mühsam genug gewesen, ihren nörgelnden Großvater die Treppe hinunterzuhieven. Warum ist sie auch noch den ganzen Hügel runtergegangen?
    »Schneller, schneller!« ruft der General.
    Issy schiebt schnaufend den Rollstuhl zwischen den Eimern und Schüsseln bergauf und denkt ständig an das Stromkabel, das sie an ihr Mobiltelefon gefriemelt und in die Steckdose im Salon gesteckt hat.
    »Vorwärts, marsch!« schreit der General und klatscht in die Hände.
    Zwischen zwei Feuerwehrautos schießt Hema hervor. »Herr General! Wo haben Sie gesteckt?!« Er übernimmt den Rollstuhl, aber durch den Sand auf dem steilen Pfad fällt ihm das Schieben viel schwerer als erwartet. Sein letzter Spaziergang mit dem General liegt ja auch schon Jahre zurück. »Miss Isabella, Sie waren gar nicht im Haus!« ruft er erleichtert, denn er muss ständig an die Beedie denken, die er heimlich hinterm Haus geraucht hat.
    »Schneller! Schneller! Näher ran!« brüllt der General. »Das ist das größte Feuer, das ich je gesehen habe!«
    Issy blickt verstört auf ihren johlenden Großvater und nimmt sich vor, niemals jemandem von den Ledergurten zu erzählen, mit denen er festgebunden war, und von den Kabeldrähten, die sie in die Steckdose gesteckt hat.
     
    Madan sitzt am Stadtrand neben seinem Fahrrad. Er kann sich einfach nicht entschließen, von Rampur wegzugehen, von ihr wegzugehen. Er glaubt zuerst nicht, daß die Flammen echt sind. Er denkt, daß er sie träumt, daß sie genauso in Flammen steht wie er. Bis der Rauch aufsteigt, plötzlich, in wirren Fetzen, die den Himmel suchen. Ihr Haus, es ist ihr Haus! Er springt aufs Rad und rast zurück.
     
    Er hört den zwölften Schlag der Uhr im Treppenhaus. Durch das Sichtfenster der

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