Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
Vorwort
Mich haben Kriminalfälle schon interessiert, bevor ich zur Polizei kam und auch lange bevor ich mein Psychologie-Studium begann: Die Kennedy-Ermordung, bei der wir bis heute nichts über die Motive des Schützen wissen. Die Taten des Jürgen Bartsch, der als sogenannter »Kirmesmörder« in den sechziger Jahren vier Jungen umbrachte. Über die Gerichtsverfahren gegen ihn las ich in der Zeitung, es gab unterschiedliche Tatmotive, aber keine eindeutigen Erklärungen und keine Diagnostik. Das Attentat von München während der Olympischen Spiele 1972, die Verhandlungen um Leben und Tod und die misslungene Befreiung der israelischen Sportler. Die Schleyer-Entführung und -Ermordung. Die Entführung der Lufthansamaschine »Landshut« auf einem ganz normalen Urlaubsflug nach Mallorca. Fälle, bei denen kriminelle Energie oder auch die Auswirkungen von Fanatismus und psychischen Störungen auf schockierende Weise in den »ganz normalen Alltag« diffundieren und uns emotional gefangen nehmen.
Ich wurde Psychologin. Als die Professoren der Universität Kiel uns Studienanfängern ihre Forschungsbereiche vorstellten, wurde ich hellhörig: Forensische Psychologie, Aussagebegutachtung, Täterbegutachtung. Spannend! Aber wollte ich nicht eigentlich Psychotherapeutin werden wie so viele in meinem Studiengang? Nachdem ich mich intensiver mit der Rechtspsychologie beschäftigt hatte, war die Richtung jedoch klar, und ich schrieb meine Diplomarbeit über die Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen. 1987, als ich mein Diplom erhielt, wurden in Hamburg gerade zwei Psychologen für den Polizeipsychologischen Dienst gesucht. So kam ich zur Polizei.
Hamburg war eines der wenigen Bundesländer, in denen die Polizei bereits in den achtziger Jahren Psychologen als Berater hinzuzog, wenn es um die Bewältigung von Entführungen, Erpressungen und Geiselnahmen ging oder um Ermittlungen bei besonderen Tötungs- und Sexualdelikten. Ich beriet die Kollegen bei kurzfristigen Einsätzen, arbeitete aber auch in Sonderkommissionen mit. Anfangs wurden wir allerdings eher selten in die Kriminalitätsbekämpfung miteinbezogen.
Gerade alteingesessene Polizisten schienen uns Psychologen manchmal kritisch gegenüberzustehen. Manche hatten wohl das Gefühl, wir würden ihre Berufserfahrung und ihren sogenannten gesunden Menschenverstand in Frage stellen, alles besser wissen und ihre Arbeit kritisieren. Andere wiederum waren sehr interessiert daran, was Psychologie leisten kann. Sie waren überzeugt, dass sich sinnvolle Vorgehensweisen aus unterschiedlichen Disziplinen herleiten lassen, die zusammenwirken können.
Es bedurfte einiger Jahre und vieler gemeinsamer Einsätze, bis sich ein Vertrauensverhältnis aufbaute. Die psychologische Einsatzbegleitung wurde mehr und mehr nachgefragt, bis sie selbstverständlich wurde und schließlich eine eigene Dienststelle entstand. Seit 2005 leite ich im Landeskriminalamt Hamburg die »Kriminalpsychologische Einsatz- und Ermittlungsunterstützung«. Wir sind zuständig für verschiedene Arbeitsbereiche. Einige von ihnen spielen eine bedeutende Rolle in diesem Buch. Die »Kriminalpsychologie« etwa berät Polizeibeamte bei Ermittlungen oder Vernehmungen, in der »operativen Fallanalyse« rekonstruieren und analysieren wir den Ablauf einer Tat, und unsere »Verhandlungsgruppe« unterstützt die Kollegen bei Gesprächen mit Erpressern, Entführern oder Geiselnehmern.
Unsere Aufgabe ist es nicht nur, Verbrecher zu fassen. Das gemeinsame Interesse von Polizisten wie Psychologen war und ist auch der Schutz von Opfern. Dieser Verantwortung sind wir uns alle bewusst. Sie verbindet uns nicht nur bei spektakulären Verbrechen, sondern auch bei weniger medienwirksamen Fällen – unserer alltäglichen Arbeit. Ein weiterer wichtiger Bereich unserer Dienststelle ist die »Risikoeinschätzung«: Bei Bedrohung und Gefährdung wie Stalking oder häuslicher Gewalt müssen wir mögliche Gewaltrisiken und Interventionsmöglichkeiten einschätzen mit dem Ziel, eine Eskalation zu verhindern.
Ich kann sagen: Für mich war meine Berufswahl vor nunmehr 26 Jahren die richtige.
Meine tägliche Neugierde auf das, was der nächste Tag bringt, und meine Motivation – alles ist nach wie vor da, und ich arbeite gern. Jeder Fall ist anders und fordert aufs Neue heraus, Routine oder Langeweile kommen nicht auf. Vielleicht bekommen Sie als Leser in diesem Buch eine Idee davon.
Wenn ein Verbrechen geschieht, stellen sich immer die Fragen
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