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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
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darin neben dieser kleinen alten Frau stehen, unter deren grüner Schürze die Ränder eines hautfarbenen BH zu sehen waren. Nichts an Julius und seiner Umgebung war bisher normal gewesen, aber diese Großmutter sah aus wie meine Omas.
    Ich ging ins Bad, das hinter einer Tür mit geriffelter Milchglasscheibe lag. Der Toilettendeckel war hellblau umhäkelt, genau wie der kleine Teppich vor der Badewanne. Vor dem Fenster hing eine weiße bestickte Gardine, die die Scheibe zur Hälfte verdeckte, und auf der Wiese zwischen uns und dem nächsten Block lag ein Kinderspielplatz, auf dem nicht ein Kind zu sehen war. »Na, Alter«, hörte ich eine fremde Stimme vor der Tür sagen, »hast du dir ja ganz schön Zeit gelassen«, und ich fragte mich, ob Julius die Augen verdrehte und auf die Klotür zeigte oder was er sagte, aber ich konnte im Bad nichts mehr verstehen.
    Als ich in den kleinen Flur trat, sah ich von Julius’ Bruder nichts außer seinen Rücken in einem orangen T-Shirt. Die Großmutter kam auf mich zu, als hätte sie auf mich gewartet, und nahm mich am Arm. »Dann wollen wir mal Kaffee kochen.« Ich folgte ihr die paar Meter in die Küche, die nur ein schmaler Schlauch war. Es gab keinen Tisch, nicht mal Stühle, der Raum war so eng, dass man in ihm nicht sitzen konnte. Man konnte nicht einmal aneinander vorbeigehen, ohne sich zu berühren. »Die beiden sehen sich ja kaum«, sagte die alte Frau und schob ihre Hornbrille höher, und ich wusste nicht, ob sie damit meinte, dass ich eigentlich stören würde, oder es einfach nur erklärend sagte. Sie öffnete einen Schrank, in dem fünf Kaffeepäckchen
Jacobs Krönung
nebeneinanderstanden, nahm ein offenes heraus, und dann schaufelte sie das Pulver mit einem kleinen Portionslöffel in die weiße Filtertüte. Die Kaffeemaschine begann augenblicklich zu blubbern und zu zischen, und »Herminchen«, wie Julius sie genannt hatte, sah mich an und lächelte durch mich hindurch. Sie strich sich unaufhörlich über ihre Schürze, und ich drehte mich zum Fenster. Es war der gleiche Ausblick wie aus dem Badezimmer, und immer noch lagen die Spielgeräte verwaist. Kein Mensch zu sehen. Ich hörte die Oma in den Schränken rumoren, lehnte den Kopf für einen Moment an die Fensterscheibe und schloss die Augen. Durch meinen Pony spürte ich die Kühle des Glases und fragte mich, worüber die beiden Brüder sprechen würden. In meiner Vorstellung sah Sascha aus wie Julius, nur kleiner. »Nun komm mal, Kindchen«, hörte ich die alte Frau sagen, »und bring die Kaffeekanne mit.«
    Ich schälte schmale Streifen von meiner Eierschecke, stach sie behutsam mit der Kuchengabel auf, aß sie und begann wieder von vorn. Das half mir, nicht pausenlos Sascha anzustarren und dann rüber zu Julius zu sehen und Vergleiche anzustellen. Ihre Nasen waren gleich, schmal und an den Spitzen leicht nach oben gebogen. Keine Himmelfahrtsnasen, aber von der Seite sah man so einen Schwung. Sascha war kaum kleiner als sein Bruder, und auch seine Haare waren lang, aber glatt. Fast rhythmisch warf er den Kopf zur Seite und damit die Haare aus dem Gesicht. Seine Augen waren blau, nicht grünbraun wie die von Julius. Er war zwei Jahre jünger als sein Bruder, also siebzehn, so wie ich. Jedes Jahr komme er hierher, um sich mit Julius zu treffen, hatte er mir erzählt. Seit er sieben Jahre alt war. Sein Vater habe ihn anfangs über die Grenze gebracht und sei dann wieder zurückgefahren, und Herminchen hatte ihn dann eben hier abgeholt. »Alles ganz easy.«
    Der gelbe Streifen Kuchen zitterte leicht auf meiner Gabel, und es bestand die Gefahr, dass er hinunterfällt, aber das war es wert. Er musste so dünn wie möglich sein und durfte nicht zerbrechen, bevor ich ihn in den Mund schob. Keiner sagte etwas, und alle außer mir schienen sich wohlzufühlen. Veilchenmuster auf den Tellern und den kleinen Tassen. Wir saßen tief in den alten Sesseln einer anderen Zeit, die die Oma hier irgendwann in diese kleine Zweiraumwohnung geschafft hatte, und schwiegen. Nur das Rascheln von Herminchens rauen Händen auf dem Kittelstoff war zu hören.
    »Lass uns noch ein bisschen an die Elbe fahren.« Es war Julius, der das sagte. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und jubelnd rausgelaufen. »Ja, lass uns auf das Wasser gucken mit Tee und Plätzchen«, sagte Sascha und grinste mich an. »Warte nicht mit dem Abendessen, Herminchen«, rief Julius, bevor er die Tür zuzog.
    Im Auto saß ich wieder hinten, ganz selbstverständlich

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