Um Mitternacht mit dir im Bett
1. KAPITEL
Sarah Hewitt war noch nie uneingeladen auf einer Party erschienen. Und sie hatte auch noch nie einen Safe aufgebrochen. Aber für alles gab es ein erstes Mal, und heute Abend würde es gleich zwei Premieren geben.
Der Schnee knirschte unter ihren Schritten, als sie sich vorsichtig der Wolff-Villa näherte. Das Licht, das aus den hohen Fenstern des schlossähnlichen Gebäudes fiel, überzog den verschneiten Hang mit einem blassrosa Schimmer, doch ein paar riesige Fichten warfen auf das offen stehende schmiedeeiserne Tor einen Schatten, sodass sie unbemerkt hindurchschlüpfen konnte.
Ihr Auto hatte sie eine halbe Meile entfernt unten am Berg abgestellt und war zu Fuß den langen Weg heraufgekommen. Ihr Atem ging stoßweise, aber mehr vor gespannter Erwartung der kommenden Ereignisse als von der Anstrengung des steilen Aufstiegs.
Wenn sie hinter sich schaute, konnte sie von hier oben die winzigen Lichter des Zentrums von Denver sehen, das zwanzig Meilen östlich lag. Dort wohnte sie mit ihrem Großvater, der annahm, dass sie jetzt den Silvesterabend mit ihren Freunden feierte.
Stattdessen folgte sie ihm auf seinen kriminellen Pfaden!
Sich im Schatten der Villa haltend, lief sie nun auf den Eingang zu, wobei sie den Strom der ankommenden und abfahrenden Limousinen auf der kreisförmigen Zufahrt aufmerksam verfolgte. Vor dem imposanten Portal, das von zwei Marmorsäulen flankiert wurde, hielten die Wagen nur kurz an, um die kostümierten Gäste aussteigen zu lassen.
Der jährliche Maskenball bei den Wolffs stellte einen Höhepunkt in Denvers gesellschaftlichem Leben dar. Das hatte Sarah zumindest gehört. Sie kümmerte sich nicht sonderlich um das Treiben der Reichen und Prominenten. Schließlich hatte sie genug damit zu tun, das nötige Geld für ihr Soziologiestudium zu verdienen. Momentan ging sie zwei Jobs nach – tagsüber hinter einem Banktresen und an den Wochenenden als Bedienung in einer Bar.
Als Sarah die Einladung zum Wolffschen Maskenball auf dem Schreibtisch des Bankdirektors erspäht hatte, war ihr das als ein Wink des Schicksals erschienen. So eine günstige Gelegenheit, den schwerwiegenden Fehler ihres Großvaters wiedergutzumachen, konnte einfach kein Zufall sein.
Am Portal angekommen, verbarg sie sich hinter einer der dicken Marmorsäulen am Fuße der Treppe und beobachtete eine Weile den Türsteher, der die eintreffenden Gäste begrüßte. Ein Windstoß kam auf, und sie zog sich die Kapuze ihres langen roten Capes tiefer in die Stirn, froh über die wärmende Kostümierung.
Sie hatte sich als Rotkäppchen verkleidet, und die langen roten Handschuhe sowie die schwarzen Lederstiefel waren genau das Richtige für die Winterwanderung gewesen. Außerdem würde sie mit den Handschuhen keine Fingerabdrücke hinterlassen.
Während sie so durch die Augenschlitze ihrer roten Maske in die Eingangshalle spähte, nahm sie eine plötzliche Unruhe wahr. Eine Frau, die als Las-Vegas-Showgirl kostümiert war, hatte sich mit einer langen Feder ihres Kopfputzes in einem der tief hängenden Kronleuchter verfangen. In dem Moment, wo der Türsteher sich um das Showgirl bemühte, rannte Sarah die Stufen hinauf, trat durch die Tür und steuerte zielsicher auf den Ballsaal zu. Die laute Musik der Band hätte ihr ohnehin den Weg gewiesen, aber sie hatte am Abend zuvor den Grundriss der Villa gründlich studiert.
Mit klopfendem Herzen durchquerte sie die Eingangshalle, befürchtete sie doch, jemand könnte Alarm schlagen und sie abfangen, bevor sie in der Menge der Kostümierten untertauchte. Aber niemand hielt sie an, und so fand sie sich kurz darauf unter dem Rundbogen der Tür zum Ballsaal wieder.
Erleichtert schaute sie sich um, wohlwissend, dass der schwierigste Teil noch vor ihr lag. Voll Bewunderung betrachtete sie den glänzenden Marmorboden, die Kristalllüster, die fantasievoll verkleideten Gäste. Auf der Einladung hatte gestanden, dass um Mitternacht die Demaskierung stattfinden sollte.
Und zu dem Zeitpunkt würde Sarah in Aktion treten.
Sie schaute zu der großen antiken Standuhr und stellte beruhigt fest, dass sie genügend Zeit hatte. In der nächsten Stunde brauchte sie sich nur unter die Gäste zu mischen und so zu tun, als gehörte sie dazu. Doch sie wünschte, der Abend wäre schon vorüber und sie könnte zu ihrem normalen Leben zurückkehren.
Falls sie nicht vorher hinter Gittern landete.
Bei der Vorstellung musste sie schlucken. Wie Halt suchend griff sie nach dem Henkel des
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