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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
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hatte sie einmal zu Paul gesagt. Tobias wurde von ihr immer als lethargisch und emotionslos beschrieben. Paul hat ihn noch nie gesehen.
    Astrid kommt in das Zimmer und steckt ihr Handy in die Handtasche. »Alles gut. Was ist? Bis du fertig oder musst du noch dein Make-up machen?«, fragt sie.
    »Na, du hättest mich eben etwas früher wecken sollen«, sagt Paul, zieht sich ein weißes Hemd an und knöpft es zu. »Ich muss mit dir reden«, hat Astrid nach dem Wecken gesagt und dann schnell hinterhergeschoben: »Hat gar nichts mit dir zu tun. Oder eigentlich doch, aber anders, als du denkst.«
    »Wieso? Was denke ich denn?«, hatte er gesagt und gedacht: »Das wäre wirklich der Hammer, wenn die mich jetzt einfach abschießt. Hier in Budapest.«
    »Wohin gehen wir eigentlich?«, fragt Paul, während er sich die Schuhe bindet.
    »Hier in das Zigeunerrestaurant.«
    »Bist du dir sicher?«
    »Ehrlich gesagt: Nein. Aber ich gehe das Risiko ein, und es könnte überall in der Stadt auch passieren.«
    »Was könnte überall in der Stadt auch passieren?«
    »Sei doch nicht so neugierig«, sagt Astrid und öffnet die Zimmertür. Sie gehen langsam über den schrecklichen Flur in das schöne Treppenhaus und von dort direkt in das Restaurant. Vorbei an dem Pfeiler, über den noch immer die Ameisen krabbeln, wie Paul feststellt. Ein sich ständig leicht verbeugender Kellner, der aussieht wie ein englischer Komiker, der einen ungarischen Kellner spielt, führt sie zu einem der Tische. Es sind nur wenige Gäste im Restaurant.
    Der Kellner bleibt bei seiner umständlichen Comedydarbietung, aber er ist sehr freundlich und gibt sich Mühe. Die Zigeunercombo kommt an den Tisch und fragt nach einem Wunsch. »Autumn in New York«, wünscht sich Paul, und es wird erledigt und abkassiert. »In Berlin würdest du das hassen«, sagt Astrid. »Autumn in New York. Du wärst nicht mal hier reingegangen.«
    »Vielleicht, aber du wolltest mir doch was erzählen«, sagt Paul und breitet die Stoffserviette über seinen Beinen aus. Das Paprikahuhn riecht gut und schmeckt leicht scharf.
    »Ja«, sagt Astrid, stochert in ihrem Salat, fischt ein Tomatenstück raus und steckt es in den Mund, kaut langsam und guckt dann wieder auf den Salatteller und beginnt. Bei A wie Astrid bis Z wie Zurückgefahren. Paul hört zu, fragt nach, schüttelt den Kopf und guckt wirklich erstaunt. Legt das Besteck zur Seite, greift wieder danach und reißt sich zusammen. Er will warten, bis Astrid fertig ist. Er kann es kaum erwarten zu sagen: »Die waren gestern in der Bar. Ich meine, als ich hier gestern Abend runtergegangen bin, um noch ein Bier zu trinken. Von dem, wie hieß er, Sascha, habe ich mir die Zigarette geschnorrt.«
    Astrid zieht die Schultern hoch und sagt: »Das passt ja. Mich wundert das gar nicht mehr. Das waren sie bestimmt. Haben sie denn nichts gesagt? Wie sie heißen, oder habt ihr euch nicht vorgestellt?«
    »Nein, oder ich habe es vergessen. Ich weiß nicht.« Paul wirft die Serviette neben den Teller und bestellt einen Espresso.
    »Wie lange sind die denn hier? Und haben sie gesagt, in welchem Zimmer sie wohnen? Bestimmt in einer Suite«, sagt Astrid und sieht aus, als wäre sie weit weg.
    Paul zuckt die Schultern.
    »Keine Ahnung. Sie haben gesagt, sie wären jedes Jahr hier. Wir haben nicht viel geredet. Über das Fußballspiel gestern Abend. Sie haben das gesehen hier in der Lobby, als wir im Café Central waren. Mehr nicht. Ich weiß eigentlich nichts über die. Nur dass sie Brüder sind. Einer aus dem Osten und einer aus dem Westen. Was willst du jetzt machen?«
    »Ich will mit ihm reden. Kommst du mit mir zur Rezeption? Wir fragen, in welchem Zimmer die wohnen, und vielleicht rufe ich an oder hinterlass ihnen eine Nachricht. Was meinst du?«

Geisterfahrt
    Jana hatte mich im Schlaf umfasst, blies mir ihren Atem in den Nacken und schnarchte leise. Ich fragte mich im Aufwachen, ob sie so ihre Liebhaber umarmen würde, wenn sie hier mit ihnen lag. Ihr Bauch lag weich an meiner Hüfte und ihr Gesicht an meiner Schulter. Das Tageslicht sickerte durch die roten Alu-Lamellen des Rollos, aber es war nicht zu erkennen, ob die Sonne schien oder der Himmel bedeckt war.
    Fast ein ganzes Jahr hatte ich Jana nicht gesehen, und als sie Neubrandenburg verlassen hatte, hatten wir beide nicht gedacht, dass wir uns überhaupt wiedersehen würden. Ich heulte stundenlang, als ich ihren Brief in Rostock im Briefkasten fand. Tobias und ich bewohnten hier eine

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