Was ist mit unseren Jungs los
fähig ist, in dieser Gruppe mitzuhalten. Wir nehmen nur Jungen auf, die wirklich an sich arbeiten wollen und es mit dem Thema Gewalt ernst meinem. Wir sagen dem Jungen, dass er uns davon überzeugen muss, ob es sich lohnt, mit ihm zu arbeiten.Gelingt ihm das, nehmen wir ihn auf. Scheitert er, informieren wir das Jugendgericht, dass es ihm an Einsicht und Motivation fehlt. Wir teilen dem Jungen mit, dass die Teilnahme mentale Stärke voraussetzt und die Fähigkeit, sich wirklich vertieft mit sich selber auseinanderzusetzen. Nicht jeder sei dazu fähig, wir nehmen nur die Stärksten. Verhält sich ein Junge nach dem Spaziergang immer noch renitent und wenig kooperativ, dann weisen wir ihn zurück. Es darf uns nicht interessieren, welche Folgen unsere Entscheidung hat. Der Junge darf sich allerdings nach zwei Wochen nochmals melden.
Wenn die Jungen realisieren, dass sie sich um die Aufnahme in der Gruppe bewerben müssen und sie nicht einfach aufgenommen werden, erhöht dies die Attraktivität der Gruppe. Wenn sie beteuern müssen, dass sie wirklich an sich arbeiten, der Gewalt abschwören und den Eigenanteil reflektieren müssen, ändert sich ihre Erwartungshaltung. Die Gruppe wird als Herausforderung wahrgenommen. Das AAT-Programm ist nicht nur eine Auflage, die man wohl oder übel erfüllen muss, sondern eine persönliche Aufgabe. Man kann auch scheitern. Die jungen Männer fühlen sich von uns auch als Täter respektiert. Die Teilnahme bedeutet nicht, dass sie sich nun zu einem braven Bubi verwandeln müssen, sie behalten ihren Status als harter Kerl. An drei Sitzungen dürfen sie teilnehmen, erst dann wird über die definitive Aufnahme entschieden. Dank dieser Bedingungen legen die meisten Jungen ihre Renitenz und ihren Zynismus ab, beteuern, dass sie mitarbeiten werden. Die verbale Bekundung zu kooperieren ist jedoch nur der erste Schritt des AAT-Programms. Das mentale Eingeständnis erlaubt uns, die Arbeitsweise und Thematik der ersten Gruppensitzungen zu definieren und verhindert, dass wir uns auf langwierige Diskussionen über den Sinn der Sitzungen einlassen müssen. Die Jungen wissen: der Ausgangspunkt der Arbeit ist ihre Tat, und sie haben versprochen zu kooperieren.Ob sie dazu fähig sind und es wirklich wollen, ist natürlich offen.
Nun beginnen die Gruppensitzungen. Eine Sitzung dauert in der Regel zwei Stunden. Die Gruppengröße variiert zwischen 5 und 11. Die Altersspanne liegt zwischen 15 und 20. Meistens kennen sich die Jugendlichen nicht. Sie wissen jedoch, dass sie alle wegen einer Gewalttat da sind, alle ein Problem mit ihren Aggressionen haben. Die einzelnen Sitzungen verlaufen nach einem ähnlichen Schema. So wissen die Jugendlichen, was sie erwartet und lassen sich einfacher disziplinieren. Die Sitzungen werden rasch zu Routine.
Der richtige Ort
Im Hintergrund hört man das Zischen von Schweißmaschinen, gelegentlich ertönt das Klopfen eines Hammers oder das Brummen einer Lokomotive; Schilder warnen vor der lebensgefährlichen Hochspannung, Fässer stehen herum und zwischendurch trifft man auf einen schweißgebadeten Mechaniker: In der gigantischen Halle des Depots der Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn läuft immer etwas. Wir sind mit den Jungen in einem großen Vorraum eines Depots, den uns die Leitung der Bahn zur Verfügung gestellt hat. Im Raum dominiert die Technik, und außerdem stehen Werkzeuge und Apparaturen herum. Es riecht nach Metallschmiere.
Unser Verhalten, unsere Gefühle und Wahrnehmung werden von den Räumen beeinflusst, in denen wir uns bewegen. In einer Kirche fühlen wir uns erhaben oder demütig, in einer düsteren Bar drängen sich uns verruchte Bilder auf und in einem Krankenhaus beginnen wir zu kränkeln. Der Kontext beeinflusst unsere Stimmungen und Einstellungen. In der Gruppentherapie verhält es sich ähnlich. Der Raum beeinflusst die Einstellung der Teilnehmer einer Gruppe. Die Kunst ist, dieSitzungen an einem Ort abzuhalten, der den Teilnehmern entspricht. Den richtigen Raum oder Temenos 132 zu finden, ist darum ein besonders Anliegen des AAT-Programms. In einem strengen klinischen Setting fühlen sich viele Jungen fremd und unwillkommen. Sie haben das Gefühl, aufs Private und Persönliche reduziert zu werden und sich einem Gesundheitsregime unterwerfen zu müssen. Sie sehen sich als Therapiefälle. Der klinische Raum ignoriert außerdem die Größenfantasien und Mythen, die die Jungen innerlich umtreiben und die sie in ihre urbane oder dörfliche Umgebung
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