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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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abzufinden.
    Manchmal lieh ich mir, bevor ich auf sein Zimmer ging, am Empfang Momo, den Besuchshund, aus, der vom Haus vor einiger Zeit eigens zu diesem Zweck angeschafft worden war. Dann gab es für meinen Vater kein Halten mehr.
    «Pschorri», rief er, «mein lieber Pschorri», und wenn es Momo gut mit ihm meinte, dann sprang er meinem Vater auf den Schoß und ließ sich von ihm umarmen, bis er keine Luft mehr bekam.
    Der wirkliche Pschorri war bereits vor mehr als zwanzig Jahren einen gnädigen Tod gestorben. Altersschwach, wie er war, hatte er sich am Abend in seinen Korb zum Schlafen gelegt und war am nächsten Morgen einfach nicht mehr aufgewacht. Pschorri wurde noch am selben Tag in Anwesenheit aller greifbaren Familienmitglieder im Garten zu Grabe getragen. Mein Vater weinte, wie ich ihn noch nie hatte weinen sehen und wie ich ihn auch später nie wieder weinen sah, noch nicht einmal beim Tod meiner Mutter im Jahr darauf. Nach Pschorri gab es keine weiteren Hunde im Leben meines Vaters, wie es nach dem Tod meiner Mutter keine anderen Frauen mehr für ihn gab, und vielleicht war diese Treue das Einzige, was ich an meinem Vater still bewunderte. Kurz bevor er begann, sich in seine Demenz zu verabschieden, hatte er sich allerdings noch einmal einen Wellensittich zugelegt, einen Piffi oder Tiffi, an dem er freilich schnell das Interesse verlor, und der, wie ich mit ziemlicher Sicherheit annehme, einen erbärmlichen Hungertod gestorben ist. Ein Begräbnis für Piffi oder Tiffi gab es nicht und vermutlich auch keine Tränen, «Ach, der», hatte mein Vater nur gesagt, als ich in der Küche auf den leeren Käfig gedeutet hatte, und weiter sprach er nicht darüber.
    Wenn ich meinen Vater zusammen mit Momo besuchte, ging ich meist nach wenigen Minuten auf den Balkon und ließ die beiden allein, bis meine Leihzeit nach fünfundvierzig Minuten abgelaufen war. Manchmal hörte ich meinen Vater drinnen vor Freude glucksen, wie er in seinem nicht-dementen Leben selten vor Freude gegluckst hatte, und wenn doch, dann war ganz bestimmt nicht Pschorri der Grund für seine plötzliche gute Laune gewesen. Im Grunde gönnte ich meinem Vater diese Freude nicht und beschloss jedes Mal aufs Neue, Momo nicht mehr mitzubringen, aber dann überlegte ich es mir doch wieder anders und trug mich am Empfang in Momos Leihkarte ein, die vom zahlreichen Einsatz an den Rändern ganz abgegriffen war. Auch Momo selbst war an den Rändern bereits ein bisschen abgegriffen. Die vielen Tätschelhände hatten ihre Spuren hinterlassen, und wahrscheinlich träumte Momo bereits davon, sich mit einem gezielten Amoklauf zurück ins Tierheim zu befördern, wo er herkam und wo man ihn bei aller Kargheit seines Lebens wenigstens in Ruhe gelassen hatte.
    Natürlich machte auch ich mich an ihm schuldig, indem ich ihn regelmäßig auslieh und den Umarmungen meines Vaters auslieferte, aber ich achtete darauf, dass ich ihn auf dem Weg dorthin und wieder zurück immer ein wenig gröber behandelte als notwendig. Dafür, so glaubte ich, würde er mich verschonen, ein Gedanke, an dem ich festhielt, bis Momo eines Tages verschwunden war. Allem Anschein nach war er einfach gegangen, wohin wusste niemand. Einer der Gärtner hatte Momo noch am Teich gesehen und später noch einmal am abgelassenen Kneippbecken im hinteren Teil des Parks, dort verlor sich seine Spur.
    Ich merkte, dass ich trotz allem ein bisschen traurig war. So war es oft: Ich wünschte mir etwas vom Hals, und wenn es dann weg war, war ich betrübt. Erst kürzlich hatte ich mich von einer kleinen Zinnfigur, einem blau gekleideten Ritter mit Hellebarde, getrennt, die mich annähernd zwanzig Jahre lang nutzlos begleitet hatte. Doch kaum war sie zusammen mit dem Wochenmüll abtransportiert worden, vermisste ich sie bereits. So sehr, dass ich nach einer Woche eine neue Zinnfigur kaufte und sie an den Platz der alten stellte, aber weder war der neue Ritter blau gekleidet noch hielt er eine Hellebarde in seinen Händen. Überhaupt wirkte er insgesamt wenig ritterlich, ein Fehlkauf, der die Lücke, die der alte Ritter hinterlassen hatte, in keiner Weise zu füllen vermochte, nach drei Tagen warf ich auch ihn in den Müll.
    Ich ging zum Fahrstuhl und fuhr nach oben zu meinem Vater. Anders als sonst saß er eingewickelt in eine Decke auf dem Balkon und bemerkte es nicht, als ich ins Zimmer trat. Ich zögerte, dann setzte ich mich in seinen Sessel und schaute ihm dabei zu, wie er unbewegt in die Ferne sah und immer

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